Der Kampf um das „selbstbestimmte“ Leben – im Bittstellertum

Widersprüchliche Behindertenhilfe zwischen Rechtsanspruch und "Freiwilligen Leistungen"

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Am Beispiel des „Fonds Soziales Wien – FSW“ wird die Frage beleuchtet: In welche Richtung geht die österreichische Sozialpolitik? Welche Beweggründe zur „Auslagerung des Sozialwesens“ der Stadt Wien auch immer überwiegen mögen, ein selbstbestimmtes Leben behinderter und sozial schwacher Menschen soll durch „Kann-Leistungen“ im Bittstellertum gehalten werden.

Wie der FSW die Behindertenhilfe handhabt

Wie der FSW die Behindertenhilfe handhabt, wird aus folgendem Fall – Ablehnung der EAMP – ersichtlich: Seit Jahren bietet der FSW die Erhöhte Ambulante Monatspauschale (EAMP) an. Die EAMP soll behinderten Menschen ab der Pflegestufe 5 (fallweise wurde die EAMP auch ab der Pflegestufe 3 gewährt) unbürokratisch den Zukauf von informeller Hilfe ermöglichen, möglichst aus dem persönlichen Umfeld, um so Hilfe zur Sicherung der Lebensqualität zu erlangen, da ja das Pflegegeld bei weitem nicht mehr ausreicht.

Der FSW hat die EAMP auch auf seiner Homepage beworben

Ein Betroffener (Pflegestufe 5) ist von einem Bekannten (Pflegestufe 4) von dieser Möglichkeit, die Leistung zu beziehen, informiert worden. Lange Zeit war so was ein Geheimtipp in der Szene. Nach Vorgesprächen mit dem FSW und BIZEPS stellte er Ende Mai 2007 einen Antrag. Der Antrag wurde Anfang August 2007 mit der Begründung abgelehnt, dass die EAMP eine freiwillige Leistung des Sozialträgers der Stadt Wien ist, diese Leistung nicht unbegrenzt zur Verfügung stehe und die maximale Zahl der NutzerInnen inzwischen erreicht sei.

Die EAMP wird vom FSW als „freiwillige“ Leistung in dieser Form seit Jahren angeboten und von nicht einmal 100 Personen in Anspruch genommen. Mit 31. März 2008 soll diese Geldleistung, auch für derzeitige Unterstützungsbezieher, mit Verweis auf die „Freiwilligkeit“ dieser wieder eingestellt werden.

Unzulässige Willkür?

Seitens des FSW wurde mitgeteilt, dass alle Anträge für die EAMP ab April 2007 mit oben genannter Begründung abgelehnt wurden. Jedoch wurde bekannt, dass erst kürzlich wieder ein Antrag bewilligt worden sei. Unter dem Deckmantel angeblich freiwilliger Leistungen handelt der Sozialhilfeträger scheinbar nach unzulässiger Willkür.

Verfassungswidrige Verletzung des Gleichbehandlungsgebots?

Diese Ablehnung mit dem alleinigen Argument zu gering budgetierter Mittel und nicht mit sachlichen Kriterien zur Einschränkung des Nutzerkreises dürfte eine verfassungswidrige Verletzung des Gleichbehandlungsgebots sein.

Taktisches Verwirrspiel um die Rechtsmittel!

Das Ablehnungsschreiben des FSW enthielt keinen Rechtsmittelhinweis. Der FSW handelte damit gemäß Wiener Behindertenhilfegesetz – WBHG § 45 Absatz 2 – rechtswidrig. Bei Entscheidungen wäre auf das Rechtsmittel hinzuweisen gewesen, die Erlassung eines Bescheides beim Magistrat der Stadt Wien beantragen zu können, um den Rechtsweg zu eröffnen.

Erst aufgrund eines schriftlichen Einspruches des Antragstellers wurde ein Bescheid von der MA 15 ausgestellt. Die Behörde sagte nun per Bescheid, dass über den Antrag auf Assistenzpauschale – angeblich mangels Rechtsgrundlage – kein Bescheid erstellt würde. Es wurde nun aber die Berufungsmöglichkeit bei der nächsten Instanz eröffnet und es konnte gegen die Ablehnung der EAMP Berufung eingelegt werden.

Freiwillige Leistung oder Rechtsanspruch?

In der Berufung vom 15. September 2007 (PDF) wurde der Rechtsanspruch auf „Persönliche Hilfe“ zur Führung eines menschenwürdigen Lebens eingefordert, der sich auf das Wiener Behindertenhilfegesetz – WBHG § 3 (1) 5 – stützt. Grundsätzlich hat die Behindertenhilfe jenen Menschen die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, die dazu der Hilfe bedürfen.

Argumentiert wurde weiters mit dem Benachteiligungsverbot des Art.7 der Bundesverfassung, welches eine „Abschiebung“ in aussondernde stationäre Einrichtungen verbiete und auch mit der unzureichenden Höhe des Pflegegeldes, welches soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe sichern können sollte, wie es laut § 1 BPGG normiert wäre. Bei sozialer Bedürftigkeit bestehe zusätzlich Rechtsanspruch auf Hilfe nach dem Sozialhilfegesetz, was in der Berufung jedoch nicht angeführt wurde.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (UVS) stellte fest, dass die MA 15 den Antrag sehr wohl hätte bescheidmäßig absprechen müssen. Die Rechtsgrundlage bestand im Einspruch gegen die Entscheidung des FSW. Der MA 15 – „Bescheid, keinen Bescheid auszustellen“ wurde vom UVS per Berufungsbescheid vom 17.10.2007 (PDF) als rechtswidrig aufgehoben.

Der Magistrat der Stadt Wien kann sich nun nicht mehr um eine fundierte Entscheidung drücken, ob aufgrund des Rechtsanspruches im WBHG auf „Persönliche Hilfe“ und andere Maßnahmen, die laut § 3 Absatz 2 eindeutig dem individuellen Hilfebedarf Rechnung zu tragen haben und auf einen bestmöglichen Erfolg abzielen, bedarfsdeckende Unterstützungen für Assistenzleistungen zu gewähren sind. Das Verfahren ist im Laufen.

Zu unrecht vorenthaltene Hilfen?

Es erhebt sich die Frage, wie vielen behinderten Menschen durch den FSW und die MA 15 der Rechtsweg zur Erlangung von Hilfeleistungen bisher verwehrt wurde und wie viele zustehende Leistungen damit über Jahre den Menschen mit Hilfebedarf – mit dem Argument der Freiwilligkeit – zu unrecht verweigert wurden!

Effiziente Mittelverwendung?

Die beanstandete Ablehnung von Hilfe zur Sicherung der Lebensqualität widerspricht dem allem Handeln der öffentlichen Hand zugrunde zu legenden Prinzip der effizienten und sparsamen Mittelverwendung. Es sei darauf verwiesen, dass offizielle Hilfsdienste in Wien durchschnittlich 26 Euro Stundensatz verrechnen, das Pflegegeld jedoch nur einige Euro pro Stunde des mit der Pflegegeldeinstufung zuerkannten Hilfebedarfs beträgt! Die Inanspruchnahme von Sachleistungen z.B. durch die, mit Landespflegezuschüssen subventionierten Dienstleister, würde ein Vielfaches der Kosten der EAMP betragen.

Grundsatz „ambulant vor stationär“?

Der Tagessatz eines Heimplatzes beträgt in Wien im Schnitt – meiner Information nach – 168 Euro (monatlich 5.110 Euro), der Tagsatz für Tagesbetreuungsstätten (8 Stunden, wochentags) beträgt über 80 Euro (exklusive Verpflegung und Fahrtendienst), also monatlich über 1.640 Euro (für nur 22 % von 730 Stunden pro Monat).

Die Konsequenz der Verweigerung von Zuschüssen für selbst organisierte, unbürokratische Hilfen zur Alltagsbewältigung stellt einen indirekten Zwang dar, diese viel teureren Alternativen in Anspruch nehmen zu müssen, wobei der „öffentlichen Hand“ dadurch weit höhere Kosten entstehen. Genau das Gegenteil, dass die Unterbringung in Heimen ökonomischer wäre, wird immer wieder fälschlich angeführt!

Armutszeugnis des FSW

Der Hinweis des Sozialträgers, dass diese Leistung (EAMP) nicht unbegrenzt zur Verfügung stehe, ist ein Armutszeugnis des FSW, der für das Land Wien als privater Träger die Aufgabe der Behindertenhilfe übernommen hat, Heime, aber auch soziale Dienste überproportional fördert und offenbar für bedürfnisorientierte Hilfen nicht ausreichende Mittel zur Verfügung hat.

Neue Zuständigkeit: MA 40

Seit 1. Oktober 2007 wurde seitens der Stadt Wien unter Stadträtin Mag. Sonja Wehsely (SPÖ) im Rahmen einer Verwaltungsreform die Magistratsabteilung 40 „Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht“ mit sozialen Aufgaben betraut, die bisher als MA 15A bei der MA15 angesiedelt waren. Bei der MA 15 verbleibt das Gesundheitswesen.

Zur Erinnerung: 2004 wurden die MA 12 (Soziales) und die MA 47 (Pflege und Betreuung), unter Vizebürgermeisterin Grete Laska (SPÖ) im Zuge einer Sozialreform zur MA 15A verschmolzen und in die MA 15 (Gesundheitswesen), nun „Gesundheit und Soziales“ unter Gesundheitsstadträtin Elisabeth Pittermann (SPÖ) eingegliedert. Gleichzeitig wurde der Fonds Soziales Wien gegründet, der als privatrechtlicher Träger die Sozialaufgaben der Stadt Wien übernommen hat.

Ist es in den übrigen Bundesländern besser?

In den anderen Bundesländern gibt es zwar vereinzelt Ansätze zu Assistenzmodellen, der Trend, neue Heime zu errichten ist jedoch ungebrochen. Behinderte und alte Menschen von der Gesellschaft auszugrenzen, scheint von der Politik wieder vermehrt aufgegriffen zu werden. In modernem Gewand werden veraltete Konzepte auf Kosten der Humanität fortgesetzt. Unter dem Deckmantel angeblicher Wirtschaftlichkeit werden unangenehme Konfrontationen der Spaß-Gesellschaft mit dieser immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe vermieden.

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