Ziele des Übereinkommens erreicht?

Das österreichische Parlament hat das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert.

UNO-Flagge mit angedeutetem Gesetzestext
BIZEPS

Das ist prinzipiell erfreulich. Jedoch, die erläuternden Bemerkungen gemahnen in Hinblick auf die innerösterreichische Umsetzung zu Skepsis.

2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen, formuliert das Übereinkommen die anerkannten Menschenrechte als barrierefreie und inklusive Standards. Durch die Ratifikation – Beschluss des Nationalrats, des Bundesrats und Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt – verpflichtet sich die Republik, diese Standards in Österreich zu gewährleisten.

Darüber hinaus gibt es auch einen Zusatzvertrag – Fakultativprotokoll – der, unter bestimmten Voraussetzungen, eine individuelle Beschwerde an ein ExpertInnengremium der Vereinten Nationen ermöglicht.

Das Potenzial des Übereinkommens ist einzigartig

Neben dem umfassenden Spektrum an Barrierefreiheit und Inklusion ist dies die erste Menschenrechtskonvention, die grundlegende Prinzipien postuliert und einen mehrgliedrigen nationalen Überwachungsmodus vorsieht. Eine zentrale Bestimmung ist die effektive Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an sämtlichen politischen Entscheidungen. Dieser „grundsätzlichen Verpflichtung“ – so Artikel 4 (3) des Übereinkommens – scheint Österreich im Vorfeld der Ratifizierung nicht nachgekommen zu sein. Anders ist nicht nachvollziehbar, warum die erläuternden Bemerkungen ganz zentrale Bestimmungen des Übereinkommens unvollständig oder unrichtig widergeben.

Da ist einmal die Anerkennung der Rechtsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen. Die nunmehrige, leider höchst notwendige Bestätigung der Geltung aller Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen hat die logische Konsequenz, dass Menschen mit Behinderungen als selbstbestimmte Menschen anerkannt werden.

Recht Selbstbestimmung auszuüben

Das heißt, dass das Recht, diese Selbstbestimmung auszuüben verankert wird. Das heißt konkret, dass die Stellvertretung in Entscheidungen abgeschafft werden muss und – gegebenenfalls – durch Unterstützungsmaßnahmen ersetzt werden muss. Die Behauptung in den erläuternden Bemerkungen, dass die betreffende Bestimmung – Artikel 12 – in Österreich durch die Sachwalterschaft umgesetzt ist, ist in dieser Form also falsch.

Das Übereinkommen definiert einige Schlüsselbegriffe, wie zum Beispiel auch Diskriminierung – die nun auch die Versagung von angemessenen Vorkehrungen erfasst. Nicht definiert wird jedoch, was „Behinderung“ ist, daher wird der Personenkreis derer, die durch das Übereinkommen geschützt werden, als Teil des Schutzanliegens – Artikel 1 – skizziert.

Der Grundbaustein dieser Skizze ist jedoch nicht, wie einen die erläuternden Bemerkungen glauben machen, die Reduktion auf medizinische Determinanten, sondern die vielfältigen sozialen Barrieren. Denn, so hält das Übereinkommen fest: „Behinderung entsteht aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Behinderungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren.“ Im Englischen Original klingt das noch treffender, aber die Übersetzungsfehler zu thematisieren würde den Rahmen sprengen.

Bewusstseinsbildung ist nicht nur eine eigene Bestimmung – Artikel 8, sie scheint in allen gesellschaftlichen Sphären dringend geboten, nicht zuletzt für die Interessensverbände von Menschen mit Behinderungen. Mit der Ratifizierung beginnt auch die Frist für den ersten Bericht der Regierung an die Vereinten Nationen zu laufen: In zwei Jahren schon muss Österreich darlegen, wie die vielfältigen und weitreichenden Bestimmungen des Übereinkommens hierzulande umgesetzt werden.

Sicht der Dinge darlegen

Die Interessensverbände, die Zivilgesellschaft allgemein, hat die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge ebenfalls darzulegen. Dazu müssen jedoch die Rechte bekannt sein und die möglichen Verletzungen zusammengetragen werden.

Zwei Jahre also, in denen die Regierung ihre Sicht des Übereinkommens kritisch überdenken kann und Menschen mit Behinderungen das Potenzial der ersten Menschenrechtskonvention des 21. Jahrhunderts hoffentlich auszuschöpfen beginnen werden.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich