Wer bestimmt, welche Straßenbahnen in Wien fahren?

Lautet nun die Antwort "die Wiener Linien" oder "die Stadt Wien" oder "die Amerikaner"? Die Angelegenheit scheint komplizierter zu sein, als es zuerst scheinen mag. Was dies mit Behindertendiskriminierung zu tun hat, zeigt Profil auf.

alte Straßenbahn in Wien
BIZEPS

Im Profil 50/2008 brachte der Journalist Bernhard Odehnal unter dem Titel „Bim-Business“ einen sehr ausführlichen Artikel zum Thema Cross Border Leasing (CBL).

Diese Art von extrem komplexen Verträgen war eine zeitlang sehr beliebt, weil kurzfristig Geld in die Haushaltskassen von Gemeinden geflossen ist und anscheinend niemand bis in die letzte Konsequenz die Verträge durchdacht hat.

„Es wird erkannt, dass die CBL-Verträge die Kommunen durch eine Vielzahl von Einschränkungen und Genehmigungsvorbehalten beschränken und die Verträge daher aus wirtschaftlicher Sicht eine erhebliche Belastung zu Lasten der Bürger darstellen“, erläutert Wikipedia und erklärt grob das System dieser Verträge.

Wien hat beispielsweise für die Straßenbahnen Cross Border Leasing Verträge abgeschlossen. In den Straßenbahnen steht daher: „Diese Straßenbahngarnitur steht im Eigentum der Wiener Linien, eingeschränkt allein durch die der State Street Bank & Trust Company erklärte Pfandbestellung.“

Was bedeutet dies nun?

„Die durch Wien rollenden Straßenbahnen gehören zwar den Verkehrsbetrieben, aber wie und wie lange sie eingesetzt werden, bestimmten US-Investoren, die wohl noch nie eine Bim von innen gesehen haben“, erklärt der Profil-Artikel und berichtet weiters: „Als die Wiener Linien vor zehn Jahren mit diesen Investoren so genannte Cross Border Leasing-Geschäfte abgeschlossen haben, sah das nach einem guten Geschäft aus: U-Bahn-Züge und Straßenbahnen wurden an US-Unternehmen verleast und gleich wieder zurückgeleast. Die Unternehmen konnten die Investitionen beim US-Fiskus abschreiben, ein kleiner Teil des ersparten Geldes kam dem Leasingnehmer zugute.“

Konkret wurden im Jahr 1998 und 1999 in Summe 122 Straßenbahntriebwagen der Baureihe E2 verleast. „Gebaut wurden sie ab 1977 … Die technische Ausrüstung war schon damals nicht neu und ist heute völlig veraltet, es gibt kaum noch Ersatzteile“, berichtet das Nachrichtenmagazin und hält fest: „Nach 30 Jahren im Dauereinsatz müssten die E2 eigentlich durch moderne Niederflurfahrzeuge ersetzt werden. Die Leasingverträge aber zwingen die Wiener Linien, die Züge noch viele Jahre in Betrieb zu halten.“

Spätestens jetzt läuten alle Alarmglocken. Heißt das, dass die Wiener Linien diese Uralt-Fahrzeuge nicht gegen moderne und barrierefreie Niederflurstraßenbahnen tauschen, weil sie sich für den Weiterbetrieb verpflichtet haben?

Was wurde da vereinbart?

Größe und Laufzeit der Verträge sind bekannt. „1998 verleasten die Wiener Linien Fahrzeuge im Wert von 170 Millionen Dollar, 1999 im Wert von 400 Millionen Dollar. Die Verträge laufen bis 2025 und 2030, der Ausstieg aus den Verträgen (early buy out) ist frühestens 2018 oder 2022 möglich“, ist dem Artikel zu entnehmen.

Aber es kommt noch schlimmer. Ein Verkauf oder eine Verschrottung der Straßenbahnen wäre ein Klagegrund, ist weiters zu lesen. Die Konsequenz: „Deshalb müssen die veralteten Garnituren jetzt erneuert werden.“ Auch dies soll – so Profil mehr als 10 Millionen Euro kosten!

Was ist mit der Barrierefreiheit?

„Für die Fahrgäste wird die Modernisierung keine Vorteile bringen. Sie müssen weiterhin Stiegen steigen“, ist dem Text zu entnehmen.

Den Wiener Linien droht „zusätzlich zu den Kosten auch ein Gesetzeskonflikt“: „Das seit 2006 gültige Behindertengleichstellungsgesetz schreibt vor, dass öffentliche Verkehrsmittel ab 1. Jänner 2016 barrierefrei zugänglich sein müssen. Zu diesem Zeitpunkt aber müssen die geleasten Straßenbahnen noch in Betrieb sein, sie sollen noch ‚etwa 20 Jahre im Einsatz sein'“, zitiert Profil den Sprecher der Wiener Linien.

Im Gegensatz zu anderen Städten ist in Wien auch nicht geplant, dass alte Straßenbahnen mit einem barrierefreien Einstieg bzw. einen Niederflurteil nachgerüstet werden, berichtet Profil.

Die ÖAR zeigte sich von der Faktenlage überrascht. „Wir gingen davon aus, dass die Wiener Linien rechtzeitig barrierefrei werden“, wird Eduard Riha im Artikel zitiert.

Ein Ausstieg aus den Verträgen – wie beispielsweise in Zürich – ist in Wien nicht geplant. Wien will – laut Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ) – die Leasingverträge „vereinbarungsgemäß erfüllen“.

Reaktion der Wiener Linien

„Dass E2-Garnituren auch noch 2016 in Betrieb sein werden, ist nicht auf bestehende Leasingverträge zurückzuführen, sondern systemimmanent“, antworten die Wiener Linien in einem Leserbrief in der folgenden Profil-Ausgabe.

„Das Behindertengleichstellungsgesetz spricht von ‚unverhältnismäßigen Belastungen‘ und kennt auch Übergangsbestimmungen“, schreibt die Geschäftsführung der Wiener Linien in diesem Leserbrief und ergänzt: „Der Etappenplan wurde mit den Behindertenverbänden (ÖAR) abgestimmt.“

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