Wenn´s mal wieder länger dauert

Mit gut einer Stunde Verspätung mussten wir rechnen, als wir uns Samstagabend pünktlich 22.30 Uhr auf den Weg zum Kugelhaus gegenüber dem Hauptbahnhof machten, um unser Vorstandsmitglied Robert vom Bahnhof abzuholen. Bericht von Romy Pötschke

Deutsche Bahn
Deutsche Bahn

Aber das war nur die erste Hiobsbotschaft. 


Fahrstuhl kaputt?



Ausgestattet mit Plakaten und Flyern fand sich eine kleine Gruppe ein. Jeder wies sich als „Robert Retter“ durch angesteckte Pins aus. Die Zeit wollte nur sehr langsam vergehen. Irgendwer setzte plötzlich das Gerücht in die Welt, der Fahrstuhl zu Gleis 2 sei kaputt. Augen weiteten sich. Wie kommen wir denn dann hoch, um dem einfahrenden Zug zu winken? Aber mehr noch: Wie kommt Robert vom Gleis? Zunächst entsandten wir einen Späher, um die Lage zu checken. Tatsächlich, der Fahrstuhl war kaputt! Eilig informierten wir Robert über Handy.

Dieser ahnte im ICE sitzend nichts davon und konnte so die Zugbegleiter informieren. Vielleicht bestünde ja die Möglichkeit, den Zug auf ein anderes Gleis umzuleiten. Das ist in solchen Fällen durchaus eine übliche Praxis. Diese Hoffnung wurde allerdings schnell zerstört. Der ICE fuhr auf Gleis 2 ein. Die für Robert bereit stehenden Helfer begaben sich über die Treppe zum Zug hinauf. Voller Freude empfingen sie unseren Robert. Wir Sympathisanten – allesamt selbst Rollstuhlfahrer – mussten leider unten stehen bleiben. Wie zugesichert, wurde Robert sanft mit Muskelkraft aus dem Zug gehoben. Zum Glück hat Robert kein Übergewicht! 



Ich kann da gar nicht helfen


Noch immer ganz euphorisch winkten wir unten Wartenden dem leeren Treppenaufgang zu. Endlich war Robert zu sehen. Doch er konnte nicht runter kommen. Das Fahrstuhlproblem bestand nach wie vor. Die freundliche Zugbegleiterin erteilte die Auskunft, dass erst ab 6.00 Uhr wieder jemand vom Servicepersonal des Dresdner Hauptbahnhofs im Dienst ist und machte sich auf den Heimweg.

Die einzigen beiden Mitarbeiter der DB, die überhaupt noch auf dem Bahnhof auffindbar waren, zuckten ebenfalls nur mit den Achseln und konnten uns nicht helfen. Schnell verschwanden auch sie aus unserem Blickfeld. Vielleicht würde sich das Problem ja in Wohlgefallen auflösen. Aber wie? Versicherungstechnisch war es absolut nicht zu verantworten, Robert die große, steile Treppe selbst herunterzutragen. Das war selbst für unsere organisierten Helfern nicht zumutbar. Des Weiteren sollte sich Robert lediglich um eine Ausstiegshilfe bemühen, nicht aber um einen Fahrstuhlersatz. Man mag gar nicht daran denken, welche Verletzungen sich alle Beteiligten bei einem Sturz hätten zuziehen können. 



SOS


Aus Verzweiflung riefen wir an einer SOS-Säule um Hilfe. Diese Säulen sind an Bahnhöfen üblicherweise aufgestellt und direkt mit der 3-S-Zentrale verbunden. Die Mitarbeiterin verwies immer wieder auf die Zeiten der Mobilitätshilfe und beharrte immer wieder darauf, dass sie keine Vorgangsnummer zu unserem Freund Robert habe und deswegen nichts machen könne. Der Fahrstuhl sei kaputt, auch daran könne sie nichts ändern. Vor Montag wäre der auch nicht zu reparieren. Dies half uns kein Stück weiter.

Die Frage, ob Robert dann auf dem Bahnsteig übernachten solle, verneinte sie. Worauf wieder unsere Frage folgte, wie sie uns denn jetzt helfen könnte. Wieder verwies sie auf die Zeiten der Mobilitätshilfe und wenn es angemeldet gewesen wäre … Unser Vorschlag, dann die Polizei zu rufen, gefiel ihr nicht. 



Hektik


Plötzlich kam einer der beiden uns bereits bekannten DB-Mitarbeiter durch die Hallen des Bahnhofs gesprintet. Er lief eilig die Stufen nach oben und gesellte sich zu unserem Robert, seinen Helfern und Fans. Wir waren wieder voller Hoffnung. Seit Roberts Ankunft war bereits fast eine Stunde vergangen. Sein Gepäck war immerhin schon unten angekommen. Die organisierten Helfer taten gute Arbeit, hielten ihn bei Laune und machten uns allen Mut, dass vielleicht doch kein Feldbett gebraucht würde. Ein Zug aus Elsterwerda fuhr auf Gleis 2 ein. Der DB-Mitarbeiter sprach mit dem Zugpersonal.

Irgendwas war in Gang gekommen. Roberts Rettung lief auf Hochtouren. Dann gab es grünes Licht. Robert und eine Begleitperson sollten in diesen gerade angekommenen Zug steigen, der extra für ihn abweichend auf Gleis 2 eingefahren wurde. Man würde den Zug inklusive Robert und Begleitperson jetzt auf Gleis 3 rangieren. Der Fahrstuhl dort war zwar auch defekt, aber von dort gelangt man zum funktionierenden Fahrstuhl auf Gleis 17. Dann ging alles recht schnell. Wir immer noch unten Wartenden begaben uns zum funktionstüchtigen Lift und fuhren nach oben, rollten zum Gleis 3 und konnten unsere Mission, Robert am ankommenden Zug zu empfangen, erfüllen. Die meisten Winkelemente waren inzwischen zum Schweißtuch umfunktioniert worden.

Egal! Nach 60 Minuten Verspätung und fast 70 Minuten Lösungssuche, Hilferufen und sicherlich einigen Litern verlorenem Angstschweiß konnten wir Robert endlich nach 1 Uhr in Empfang nehmen. Was für eine Nacht! 



Fazit:


Als Rollstuhlfahrer auf die Deutsche Bahn angewiesen zu sein, birgt hohe Risiken. Zunächst müssen sie in Zeiten von Flatrates eine teure Servicenummer (14 Cent je Minute) anrufen und ihre Fahrt und damit die Hilfe, die sie benötigen, mindestens 2 Tage vor Fahrtantritt anmelden. Achten Sie dabei stets darauf, dass Sie sich innerhalb der Öffnungszeiten des Mobilitätsservices durch Deutschland bewegen.

Achtung! Das ist von Bahnhof zu Bahnhof unterschiedlich und in vielen Bahnhöfen gibt es gar keine Servicemitarbeiter. Sie können auch nicht jeden Zug benutzen, da es nicht immer Rollstuhlstellplätze gibt. Dass Sie dabei von Sparangeboten, mit denen die Deutsche Bahn nur allzu gern wirbt, oft einfach mal ausgeschlossen sind, ist Ihr persönliches Pech. Seit 26.03.2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention auch in Deutschland in Kraft, deren Ziel es ist, Chancengleichheit behinderter Menschen zu fördern, Diskriminierung in der Gesellschaft zu unterbinden und unfreiwillige Ausgrenzungen aus Gemeinschaften oder der Gesellschaft zu vermeiden.

Was wir beim Reisen mit der Deutsche Bahn jedoch oft erleben, ist ganz klar sehr diskriminierend. Menschen mit Mobilitätseinschränkung und Hilfebedarf beim Ein- und Aussteigen werden Zeiten auferlegt oder Bahnhöfe komplett vorenthalten, weil es keine Servicekräfte gibt, die den oft vorhandenen Hublift bedienen. Das oben geschilderte Beispiel ist kein Einzelfall. Es passiert deutschlandweit ständig. 

Unsere Aktion verbinden wir mit der Hoffnung, einen Prozess wieder in Gang zu bringen, an dessen Ende Rollstuhlfahrer gleichberechtigte Reisende sind. 



Vorschlag:


Auf vielen Bahnhöfen sind außerhalb der Dienstzeiten des Servicepersonales Mitarbeiter von DB-Sicherheit manchmal sogar rund-um-die-Uhr vor Ort. Als Soforthilfe könnten doch Voraussetzungen geschaffen werden, dass diese Mitarbeiter die erforderliche Hilfestellung beim Ein- und Aussteigen von Rollstuhlfahrern übernehmen. Natürlich unter Einsatz des Hubliftes, denn Elektrorollstühle sind nicht mit Muskelkraft aus dem Zug zu heben.

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