Was ein gutes Behindertengleichstellungsgesetz beinhalten muss

Seit 1994 arbeiten wir an Entwürfen zu einem Behindertengleichstellungsgesetz.

Bundesgesetzblatt
BIZEPS

Es ist dies das größte rechtspolitische Vorhaben für behinderte Menschen in der zweiten Republik. Welche 10 Punkte muss ein gutes Behindertengleichstellungsgesetz umfassen?

1. Ziel des Gesetzes
Ich warne davor, Gesetzeslyrik zu betreiben. Ein gut klingender Gesetzestext ist zuwenig. Ein Gesetz muss daran gemessen werden, was es im Alltag für behinderte Menschen bringt.

Wenn man die Schaffung eines Behin­dertengleichstellungsgesetzes mit einem Hausbau vergleicht, dann wäre der vom Sozialministerium im Jänner 2004 in Vorbegutachtung geschickte Text mit dem Ausheben eines Lochs in einer Wiese gleichzusetzen.

Doch auch ein Loch in einer Wiese ist wichtig, sollte doch jedes Haus ein gutes Fundament haben.

Ein gutes Behindertengleichstellungsgesetz muss zum Ziel haben, behinderten Menschen wirklich ein gleichberechtigtes Leben zu ermöglichen.

Die EU-Richtlinie zur Antidiskriminierung – die Österreich umsetzen muss – ist nur die Vereinheitlichung auf niedrigem Niveau. Wir wollen natürlich weit mehr.

2. Umfassender Gültigkeitsbereich
Das Gesetz muss auf Bundes- wie auf Landesebene Wirkung zeigen. Es muss also unabhängig von Zuständigkeiten klar sein, dass behinderte Menschen nicht diskriminiert werden dürfen. Wenn nicht in die bestehenden Kompetenzen eingegriffen wird, bleibt es beim derzeitigen schlechten Standard.

3. Klare Definitionen
Festgelegt werden muss:

  • Wer ist die Zielgruppe?
  • Was ist Diskriminierung?
  • Was ist Barrierefreiheit?

Die Zielgruppe muss weitreichend sein und darf sich nicht nur auf die bestehenden Definitionen (meist auf Defizite beschränkt, was „einer“ nicht kann, z. B. eine blinde Person) stützen. Das Gesetz muss also allen Menschen, die im Alltag behindert sind oder Angehörigen Schutz bieten.

Klar definiert werden muss, was eine Diskriminierung ist. Häufig werden Diskriminierungen und Schlechterstellungen in Gesetzen absichtlich festgelegt und dann versucht, dies sachlich zu rechtfertigen.

Um behinderten Menschen einen barrierefreien Zugang zu ermöglichen, muss ein gutes Gesetz festschreiben, welche Standards zumindest eingehalten werden müssen. Meist werden dies ÖNORMEN sein. Darin wird detailliert erklärt was zu unternehmen ist, damit behinderte Menschen einen gleichberechtigten Zugang erhalten.

4. Durchsetzungsmöglichkeiten
Ein Gesetz ist nur so gut, wie die Möglichkeit auch Recht zu bekommen. Damit man Recht erhält, benötigt man Unterstützung und Hilfe.

Wichtig ist es z. B., dass behinderte Menschen bei einer Klage von Vereinen unterstützt werden und auch Vereine klagen können (Verbandsklage). Nicht immer wird es einfach sein, Diskriminierungen zu beweisen.

Ein gutes Gesetz wird daher – bei begründetem Verdacht – verlangen, dass z. B. ein Geschäftsbesitzer nachweisen muss, dass er nicht diskriminiert hat (Beweislastumkehr).

Wichtig für behinderte Menschen ist auch, schnell zu ihrem Recht zu kommen und nicht jahrelange Gerichtsverfahren abwarten zu müssen.

5. Sanktionen
Manche Diskriminierungen werden mit einem Gespräch aus der Welt zu schaffen sein. Bei einigen Vorfällen wird ein klärendes Gespräch sowie eine Aufklärung bei einer Schlichtungsstelle helfen. Wenn all das nichts hilft, muss ein gutes Gesetz als letzten Schritt auch spürbare Sanktionen vorsehen.

All jene Sanktionsmöglichkeiten benötigen behinderte Menschen um ihr Recht durchzusetzen: Schadenersatz, die verpflichtende Aufforderung eine Diskriminierung zu unterlassen oder die verpflichtende Anordnung eine Handlung (z. B. den Bau einer Rampe) anzuordnen.

6. Exakte Definition der Gleich­stellungsrechte
Ein gutes Behindertengleichstellungsgesetz muss einerseits versuchen Diskriminierungen zu verhindern, und andererseits klar vorschreiben welche Handlungsweisen erwünscht sind und welche Rechte behinderte Menschen haben.

Diese Rechte sind u. a. für die Themen Bildung, Kommunikation, Bauten, Mobilität, Rechtsgeschäfte, Dienstleistungen, Zugang zu Informationen, sowie Förderungen festzulegen.

Es ist u.a. festzulegen, dass Förderungen nicht diskriminieren dürfen, Verkehrsmittel benützbar sein müssen, Neu- und Umbauten barrierefrei auszuführen sind uvm.

7. Zumutbare Bestimmungen
Rechte werden nur akzeptiert, wenn sie auch nachvollziehbar sind. Es ist daher wichtig, exakte Übergangsfristen (bis wann z. B. Bahnhöfe zugänglich sein müssen) festzulegen und auch klare und zumutbare Bestimmungen (also auch wenn eine Massnahme unverhältnis­mäßig wäre, sie nicht anzuordnen) zu definieren.

8. Selbstbestimmung fördern
Die Mitbestimmung behinderter Menschen ist wichtig. Sie müssen bei der Entstehung eines guten Behindertengleichstellungsgesetzes in jeder Phase umfassend einbezogen sein.

Das Gesetz muss jene Inhalte aufweisen die behinderten Menschen wichtig sind (z. B. Persönliche Assistenz).

Weiters ist darauf zu achten, dass die Mitbestimmung behinderter Menschen (z. B. in den Schieds- oder Beratungsstellen für die Umsetzung des Gesetzes) zumindest im Ausmaß von 50% gesichert ist.

9. Instrumentarien zur Bekanntmachung
Damit behinderte Menschen ihre neugeschaffenen Rechte auch wahrnehmen ist es wichtig, dass die Inhalte eines Behindertengleichstellungsgesetzes und die neugeschaffenen Rechte dieses Gesetzes bekannt sind.

Dafür wird es notwendig sein, dass Geld für Schulungen, Broschüren, Internet­seiten, Anlaufstellen, usw. eingeplant wird.

Auch wird es wesentlich sein, dass z. B. Unternehmer über die neuen Regelungen klar und leicht verständlich informiert werden.

10. Änderung bestehender Gesetze
Ein Behindertengleichstellungsgesetz wird neue Rechte festschreiben. Ebenso wichtig ist es allerdings, bestehende Diskriminierungen in anderen Gesetzen zu beseitigen.

Schon im Jahr 1999 wurde vom Bundeskanzleramt / Verfassungsdienst ein Bericht erstellt, der mehr als 100 Gesetzesstellen enthält die behinderte Menschen benachteiligen oder diskriminieren.

Es ist daher erforderlich, dass durch ein Behindertengleichstellungsgesetz auch diese diskriminierenden Gesetzesstellen aufgehoben werden.

Qualität vor Geschwindigkeit!
Die Behindertenbewegung wird in den nächsten Monaten – so wie schon in den vergangenen Jahren – intensiv an der Schaffung eines guten Behindertengleichstellungsgesetzes mitarbeiten.

Wichtig ist uns, dass am Ende ein Gesetz vorliegt, dass den Alltag behinderter Menschen verbessert. So ein Gesetz wird nicht vom Himmel fallen und es werden auch intensive Verhandlungen geführt werden müssen.

Uns ist nicht so wichtig, ein Gesetz möglichst schnell zu bekommen, sondern auch hier zählt: Qualität vor Geschwindigkeit!

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