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Verfassungswidrige Kostenbeitragsbestimmung im Wiener Behindertengesetz

Mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes G137/04 vom 9.3.2005 wurde die Kostenbeitragsbestimmung des § 43 Abs. 4 erster Satz Wiener Behindertengesetz als verfassungswidrig aufgehoben.

Im konkreten Anlassfall war ein behinderter Mann, der einen Pensions- und Bundespflegegeldanspruch hatte, auf Kosten des Landes Wien in einem Behindertenwohnheim untergebracht. Nach dem Wiener Behindertengesetz hat in einem solchen Fall der behinderte Mensch zu den Kosten für die Wohnheimunterbringung aus seinem Einkommen und dem Pflegegeld einen Kostenbeitrag zu leisten.

Stein des Anstoßes im konkreten Fall, der beim Verfassungsgerichtshof anhängig war, war § 43 Abs. 4 erster Satz des Wiener Behindertengesetzes (WBHG), der wie folgt lautet:

„(4) Werden dem behinderten Menschen im Rahmen einer Maßnahme nach § 24 Unterbringung, Verpflegung und Betreuung gewährt, so sind das Gesamteinkommen des behinderten Menschen und die ihm zuerkannten pflegebezogenen Geldleistungen bis auf einen Betrag in der Höhe von 40 vH des Pflegegeldes der Stufe 3 zum Kostenbeitrag heranzuziehen.“

Diese Regelung des Wiener Behindertengesetzes stand in einem Spannungsverhältnis zu bundesrechtlichen Bestimmungen in § 324 Abs. 3 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) und in § 13 Abs. 1 des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG). Nach diesen Bestimmungen geht der Pensionsanspruch bzw. das Pflegegeld bis zur Höhe der Verpflegskosten, höchstens aber bis zu 80% des Pensions- bzw. Pflegegeldanspruches, auf das Land über, wenn der Anspruchsberechtigte z. B. auf Kosten eines Landes im Rahmen der Behindertenhilfe in einer stationären Einrichtung – z. B. einem Wohnheim – untergebracht ist; in diesem Fall hat dem behinderten Menschen nach der Intention des Bundesgesetzgebers aber jedenfalls 20% des Pensionsanspruches und 10% des Pflegegeldes der Stufe 3 (pauschaliert) als Taschengeld zur freien Verfügung zu verbleiben.

Nach § 43 Abs. 4 erster Satz des Wiener Behindertengesetzes war es nun bislang geübte Praxis, bei stationären Unterbringungen in Behinderteneinrichtungen (z. B. Heimen) das im Falle eines Anspruchsüberganges der Pension und des Pflegegeldes nach § 324 Abs. 3 ASVG und § 13 Abs. 1 BPGG verbleibende Taschengeld in Höhe von zumindest 20% der Pension und 10% des Pflegegeldes der Stufe 3 als „Einkommen“ bei der Berechnung des vom behinderten Menschen zu leistenden Kostenbeitrages zu berücksichtigen. Damit verblieben behinderten Menschen, die in Heimen auf Kosten oder unter Kostenbeteiligung des Landes Wien als Behindertenhilfeträger untergebracht waren, die Taschengelder nicht gänzlich zur freien Verfügung, wie dies der Bundesgesetzgeber aber eigentlich gewollt hatte.

Nach § 43 Abs. 4 erster Satz WBHG verblieben lediglich 40% des Pflegegeldes der Stufe 3 (also 165,40 Euro) als Taschengeld zur freien Verfügung. Damit würden bei einem Pensionsanspruch von 827 Euro bereits Teile der Pensions- und Pflegegeldtaschengelder als Kostenbeitrag angegriffen, da ja die Summe dieser beiden Taschengeldleistungen ansich 206,75 Euro betragen würde und damit höher wäre als jener Betrag, der durch § 43 Abs. 4 erster Satz WBHG seitens des Landes Wien als zur freien Verfügung zu verbleibendes Taschengeld zugestanden wird.

Der Verfassungsgerichtshof hielt dazu fest:

„Auch in der Bestimmung des § 324 Abs. 3 ASVG (die jener des § 13 Abs. 1 BPGG offensichtlich als Vorbild gedient hat) kommt zum Ausdruck, dass einem pensionsberechtigten Behinderten auch – und gerade – im Falle seiner Unterbringung auf Kosten eines Landes ein Betrag in Höhe von mindestens 20 vH seiner Pension verbleiben soll.“

„Das Wiener Behindertengesetz stellt nun einerseits nicht sicher, dass dem Hilfesuchenden das sich aus § 324 Abs. 3 ASVG (und § 13 Abs. 1 BPGG) ergebende Taschengeld ungeschmälert zukommt; vielmehr zieht es Geldleistungen, die nach dem Willen des Bundesgesetzgebers einem Pensionsberechtigten auch im Fall seiner Unterbringung auf Kosten eines Landes verbleiben sollen, bereits dann zum Kostenersatz heran, wenn das Einkommen des Pensionsberechtigten eine bestimmte Höhe überschreitet. Andererseits wird aber – wie die Wiener Landesregierung gar nicht in Zweifel zieht – mit der den pensionsberechtigten Behinderten gewährten Unterbringung dessen Lebensunterhalt nicht vollends gedeckt, der nicht bloß Unterkunft und Verpflegung, sondern auch andere Bedürfnisse, etwa Kleidung und weitere Anliegen, umfassen kann.“

„Der Wiener Landesgesetzgeber übergeht in Verfolgung seiner rechtspolitischen Absichten den offenkundigen Normzweck des § 324 Abs. 3 ASVG, einer behinderten Person auch im Falle ihrer Unterbringung eine selbst bestimmte Disposition bei der Befriedigung ihrer spezifischen (auch behinderungsbedingt vermehrten) Bedürfnisse im Rahmen dieses Taschengeldes zu sichern.“

Damit setzt der Verfassungsgerichtshof seine Rechtsprechungstradition fort, die er schon mit der Aufhebung einer Bestimmung des Salzburger Sozialhilfegesetzes im Jahr 1998 begonnen hat, womit er diese Bestimmung, die das nach § 13 Abs. 1 BPGG gebührende Taschengeld als den Leistungsanspruch eines Hilfesuchenden nach dem Salzburger Sozialhilfegesetz minderndes „Einkommen“ wertete, als verfassungswidrig aufgehoben hat.

Die Bestimmung des § 43 Abs. 4 erster Satz Wiener Behindertengesetz verstößt damit nach der Auffassung des VfGH gegen die zu berücksichtigende Intention des Bundesgesetzgebers und ist nach dem Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes nun nicht mehr anzuwenden, so dass dem Erkenntnis des VfGH entsprechend Taschengelder nach § 324 Abs. 3 ASVG und § 13 Abs. 1 BPGG bei der Kostenbeitragsberechnung unberücksichtigt zu bleiben haben und zur freien Verfügung des behinderten Menschen verbleiben müssen.

Dazu berichtete „Der Standard“ auf derstandard.at am 1.4.2005, dass das laut einer ersten Einschätzung von Dr. Harald Rosenauer, Dezernatsleiter des Referates für Sozialrecht in der MA 15, zu „großen Kostenproblemen“, wenn nicht gar „wirtschaftlichem Konkurs“ führen werde; für ihn sei es schwer vorstellbar, dass damit die Wohnungsfinanzierung für behinderte Menschen in der derzeitigen Form noch administrierbar bleibt: „Da muss man ja das ganze System hinterfragen.“

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