Unsere Arbeit in Bulgarien – ein Tätigkeitsbericht

Amnesty International hat einen erschreckenden Bericht über die Zustände in den Heimen für Menschen mit geistiger Behinderung in Bulgarien erstellt.

Kinder hinter Gittern
amnesty international

Ich bin im Auftrag der Lebenshilfe Wien seit 2 1/2 Jahren in Bulgarien engagiert und habe fünfmal eine Woche in Bulgarien verbracht. Leider kann ich die menschenunwürdigen Zustände in den bulgarischen Heimen nur bestätigen.

Bei meinen Besuchen habe ich den Eindruck gewonnen, daß die schwerer behinderten Menschen die Aufenthalte in den Kinderheimen gar nicht überleben. Es fehlt an allem – an Hygieneartikeln z. B. Windeleinlagen, an Heizmöglichkeiten, an Betten, an Matratzen, an Bettdecken, an Besteck, an Therapien und an ausgebildetem Personal.

So ist es auch zu erklären, warum man in Bulgarien bei gleicher Bevölkerungszahl wie Österreich weniger als 10.000 erwachsene geistig behinderte Menschen schätzt, bei uns hingegeben schätzt man die Zahl auf ca. 60.000.

Die Lebenshilfe Wien hat gemeinsam mit Behindertenorganisationen aus Irland und Holland das Human-Dignity-Programm entwickelt, um die Situation in den Heimen zu verbessern. Zweimal im Jahr fährt für einige Wochen eine ausgebildete Therapeutin aus Wien in Heime und arbeitet mit KlientInnen und Personal, um die ärgsten Miss-Stände zu mildern.

Dr. Walter Eigner von der Lebenshilfe ist in Sachen Schulintegration engagiert und verhandelt auch mit Ministerien und Behörden.

Ich wiederum, selbst Mutter einer 36-jährigen behinderten Tochter, sehe meine Aufgabe darin, den Eltern in Bulgarien Mut zu machen. So wie wir in Österreich im Jahre 1945 in der Behindertenbetreuung mit der Stunde Null begonnen haben, so sind die bulgarischen Eltern nach dem Ende des Kommunismus Anfang der Neunzigerjahre erstmals mit der Tatsache konfrontiert, ihr behindertes Kind zu Hause zu haben und für sein Leben Verantwortung zu tragen.

Bis dahin wurde den Eltern von Staats wegen dringend geraten, die Kinder gleich nach der Geburt in ein Kinderheim zu geben. Die Heime liegen in den entlegensten Gegenden, in den hintersten Tälern, zum Teil in den Bergen, nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Kein Wunder, wenn der Kontakt zwischen den Eltern und ihren Kindern meist bald abgerissen ist.

Nun wächst eine neue Generation von Eltern heran, die mit ihren Kindern leben und sich Sorgen um deren Zukunft machen. Es gibt bereits über 40 lokale Elterngruppierungen und eine funktionierende Dachorganisation in Bulgarien.

Ich besuche die Elternabende und erzähle den Eltern von den Anfängen der Lebenshilfe Wien in den Sechzigerjahren. Ich erzähle, wie Eltern der ersten Generation zuerst Beschäftigung für ihre schulentlassenen Kindern gesucht haben und wie wir dann später nach skandinavischem Vorbild begonnen haben, Ende der Siebzigerjahre die ersten gemeinwesenintegrierten Wohngruppen in Wien zu gründen.

Für die Eltern ist es wichtig, daß eine betroffene Person, ein Elternteil eines Menschen mit Behinderung zu ihnen kommt und von seinen Erfahrungen berichtet, da sie selbst aus finanziellen Gründen keine Chance haben, zu uns zu fahren, um an Ort und Stelle unsere Angebote zu besichtigen.

Erfreulich ist zu berichten, daß es verteilt über ganz Bulgarien bereits ca. 20 Kinder- und Erwachsenen-Tageszentren gibt, in denen gute Hygiene- und Heizverhältnisse vorhanden sind, wo auch bereits Beschäftigung angeboten wird und ein „Geist der Menschlichkeit“ herrscht. Dies haben die bulgarischen Eltern gemeinsam mit Fachleuten in den letzten 12 Jahren erreicht.

In Mittelbulgarien gibt es seit September 2002 Schulintegration nach österr. Vorbild – angeleitet von einer Integrationspädagogin aus der Steiermark in einem Umfeld und mit einer Aufbruchstimmung, die man sich bei uns manchmal wünschen würde.

Und in einer Tagesstätte in einem abgelegenen Ort in den bulgarischen Bergen las ich an die Wand geschrieben: „Sie sind wie wir“. Daß jetzt solche Sätze dort großgeschrieben werden und danach gehandelt wird, wo zuvor Menschen mit Behinderung nur aufbewahrt wurden, zeigt, wie viel sich schon verändert hat. Es gibt Hoffnung und es unterstreicht die Wichtigkeit unserer Zusammenarbeit mit Bulgarien.

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