Tiroler Chancengleichheitsgesetz – Mitwirkung der Betroffenen nicht erwünscht

Tiroler Landtag lehnt Antrag der Grünen auf aktive Einbeziehung behinderter Menschen bei der Erarbeitung eines Tiroler Chancengleichheitsgesetzes ab

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Ein zentrales Prinzip der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ist deren Einbeziehung bzw. Partizipation in der Politik. Besonderes Augenmerk soll dabei der Ausarbeitung, Umsetzung und Kontrolle von Maßnahmen gelten, die Menschen mit Behinderung selbst betreffen.

Die Konvention betont dies an mehreren Stellen, so heißt es einleitend, „dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben sollen, aktiv an Entscheidungsprozessen über politische Konzepte und über Programme mitzuwirken, einschließlich solcher, die sie unmittelbar betreffen“ (Präambel).

Artikel 4 konkretisiert diese Zielsetzung: „Bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten zur Durchführung dieses Übereinkommens und bei anderen Entscheidungsprozessen in Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, führen die Vertragsstaaten mit den Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Behinderungen, über die sie vertretenden Organisationen enge Konsultationen und beziehen sie aktiv ein.“ (Artikel 4, Abs. 3)

Schließlich widmet sich Artikel 29 eigens der Teilhabe von BürgerInnen mit Behinderung am politischen und öffentlichen Leben. Darin verpflichten sich die Vertragsstaaten, „aktiv ein Umfeld zu fördern, in dem Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten teilhaben können, und ihre Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten zu begünstigen“ (Artikel 29).

Im Herbst 2009 stellten daher die Tiroler Grünen im Landtag folgenden Antrag: „Die Tiroler Landesregierung wird beauftragt zu gewährleisten, dass bei der Entwicklung, Durchführung und Kontrolle aller Maßnahmen, die Menschen mit Behinderung betreffen – aktuell der Erarbeitung des „Tiroler Chancengleichheitsgesetzes“- Personen mit Behinderung konsequent und effektiv beteiligt werden, damit in einem ersten Schritt die Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung sichergestellt ist.“

Dieser Antrag wurde sowohl im Ausschuss für Rechts-, Gemeinde- und Raumordnungsangelegenheiten als auch im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Gesundheit diskutiert. Von Seiten des zuständigen Landesrates Gerhard Reheis (SPÖ) kristallisierten sich folgende Hauptargumente gegen den Antrag heraus: Erstens sei es unmöglich, jeden einzelnen behinderten Menschen in Tirol zu befragen, ob er bzw. sie mit dem Chancengleichheitsgesetz einverstanden sei, und zweitens würden behinderte Menschen sowieso schon einbezogen, weil der Landesrat selbst regelmäßig Gespräche mit Mohi, Volks- und Lebenshilfe führe.

Die Grünen wurden daher aufgefordert, ihren Antrag zurückzuziehen, weil das Anliegen bereits erfüllt werde. Alle Versuche darzustellen, dass zwischen Organisationen, die Dienstleistungen anbieten, und jenen, die Interessen behinderter Menschen vertreten, unterschieden werden müsse, scheiterten. Auch zu einer genaueren Auseinandersetzung über konkrete Formen und Modelle von Partizipation kam es nicht, denn die VertreterInnen der SPÖ beharrten auf dem Standpunkt, dass Gespräche mit Dienstleistungsanbietern einerseits, sowie die Möglichkeit der Stellungnahme zu einem vorgelegten Gesetzesentwurf andererseits eine ausreichende Partizipation behinderter Frauen und Männer darstellen würden.

Der Antrag wurde in der Landtagssitzung vom 19.11.2009 gegen die Stimmen der Opposition von Grünen, FPÖ und Liste Fritz abgelehnt. LABg. Dr. Christine Baur (Grüne) dazu: „Ich werde nicht locker lassen und mich in Gesprächen mit dem Landesrat bzw. der zuständigen Abteilung weiterhin dafür einsetzen, dass behinderte Menschen bei der Erarbeitung des Chancengleichheitsgesetzes im Sinne der UN-Konvention umfassend einbezogen werden.“

Auf Basis dieser Erfahrungen sollte es in einem nächsten Schritt darum gehen, genauer zu erfassen und klarzustellen, wie Partizipation behinderter Menschen von der UN-Konvention konkret gemeint ist. D.h.: Welche Organisationen versteht die UN-Konvention als legitime Vertretungsorganisationen von behinderten Menschen? Welche Formen und Modelle der Bürgerbeteiligung gelten als Partizipation im Sinne des Übereinkommens?

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