Teil 1: Doppelte Minderheit – Lesben und Schwule mit Behinderung

Mosaiksteine über das Zusammenleben von nichtbehinderten und behinderten Menschen.

Alle Prinzessinnen haben das Recht auf würdevolles Leben
Ruhm, Dipl.-Psych. Kassandra

Nach Schätzungen sind 5-10 % der Bevölkerung lesbisch oder schwul. Die Prozentzahlen sind bei behinderten Menschen wahrscheinlich nicht höher und nicht niedriger, als in der Gesamtbevölkerung.

Sie ist genauso normal oder unnormal, wie andere

Wenn jemand behindert ist und sich in Menschen des eigenen Geschlechts verliebt, weicht sie (oder er) in mindestens zwei Bereichen von dem ab, was gemeinhin als „normal“ betrachtet wird. Auch wenn sie vielleicht die gleichen Gefühle fühlt und Dinge gern mag oder nicht ausstehen kann, wie die meisten angeblich „normalen“ Mitmenschen auch. Sie ist genauso normal oder unnormal, wie andere. Sie wird nur nicht immer normal behandelt. Und das eben in doppelter Hinsicht.

Wenn jemand unangenehm auf meine Behinderung reagiert, gehe ich, wenn möglich, auf Abstand. Sofern es keinen guten Grund gibt, möchte ich mich nicht mit dessen Problemen mit Behinderung belasten und suche mir ein angenehmeres Umfeld.

Einer der Unterschiede der Lebenssituation von lesbisch-schwulen und von heterosexuellen Menschen mit Behinderungen ist, dass Heterosexuelle von Ignoranten leichter weg gehen und sich netteren Umgang suchen können.

Kontaktanzeigen oder große Glücksfälle

Wenn eine behinderte Lesbe oder ein behinderter Schwuler eine/n PartnerIn finden wollen, sind sie auf die Szene, Kontaktanzeigen oder große Glücksfälle angewiesen. Es ist zwar möglich, zufällig auf der Straße, beim Sport oder in der Arbeit eine andere Lesbe zu finden und sich wechselseitig in sie zu verlieben. Aber die Chance, gegengeschlechtlich liebende Menschen zufällig zu treffen, ist für Heterosexuelle einfach größer.

Die laufen überall in Massen rum

Die Supermärkte sind voll davon, in 95 % aller Kneipen sieht man Menschen, die ganz offen zugeben, sich nach dem andern Geschlecht zu sehnen – oder dieser Form der Zuneigung sogar durch öffentliches Händchenhalten oder durch Eheringe Ausdruck verleihen. Viele Heterosexuelle tummeln sich in Kinos und gucken Filme über Männer und Frauen an, die sich lieben.

Oder sie treffen in Sport- oder anderen Vereinen Gleichgesinnte. Bis man dann die Richtige findet, ist es immer noch schwer genug. Aber die Auswahl an potentiellen Geliebten ist für Lesben und Schwule einfach kleiner und es gibt weniger Orte, an denen man sein Herzstück gut finden kann.

„Normalgesellschaft“

Typisch für behinderte Lesben und Schwule ist, wie gesagt, „doppelt anders“ zu sein. In der „Normalgesellschaft“ werden sie wegen der Behinderung als anders angesehen. Auch wenn häufig vertreten wird, man würde keinen Unterschied machen. Das stimmt nämlich nicht, ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass es ein großer Unterschied ist. Selbst wenn das nicht bewusst und absichtlich geschieht.

Wenn eine behinderte Lesbe sich in Kreise begibt, in denen sie mit ihrer Behinderung nicht auffällt, ist sie trotzdem wieder anders als die Mehrheit, weil sie lesbisch ist. Man kann kaum Orte finden, an denen man sich nicht als Ausnahme fühlt.

Im Unterschied zu behinderten Schwulen wirkt sich auf die Lebenssituation von behinderten Lesben aus, dass Frauen und Männern in dieser Gesellschaft unterschiedliche Rollen, Ansprüche und Handlungsmöglichkeiten zugeschrieben werden. Das werde ich jetzt nicht im Detail ausführen, sonst würde dieser Artikel zu lang. Man kann es an anderer Stelle nachlesen oder sich selbst überlegen.

Auch positive Wechselwirkungen

Natürlich gibt es auch positive Wechselwirkungen zwischen den Merkmalen „behindert“ und „lesbisch“ sein: Zum Beispiel habe ich, seit ich Rollstuhlfahrerin bin, viel weniger negative Reaktionen auf meine lesbische Lebensweise bekommen, als es sonst der Fall gewesen wäre. Gut, wahrscheinlich liegt es mit daran, dass behinderte Frauen oft als sexuelle Neutren angesehen werden.

Manche haben gedacht, ich kriege wegen meiner Behinderung so schlecht einen Mann und deshalb sähe ich mich als Ersatzlösung als lesbisch an. Obwohl ich in Wirklichkeit immer noch leicht Männer finden kann. Es ist zwar nicht schön, in seiner Sexualität nicht ernst genommen zu werden. Aber wenn es dadurch keinen Stress gibt und eine machen kann, was sie will, hat das Vorteile.

Dieser Artikel ist ein Ausschnitt aus einem längeren Text, den ich für ein Coming-Out-Buch mit Interviews mit „behinderten“ Lesben und Schwulen geschrieben habe. Link zum kompletten Text und weiteren Texten von mir.

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