Stand der rechtlichen Anerkennung europäischer Gebärdensprachen

Die Anerkennung gehörloser Menschen ist eine vielschichtige Angelegenheit: schulische, gesellschaftliche und rechtliche Ebenen sind hier wichtig.

Gebärdensprachdolmetsch im ORF
Ladstätter, Markus

Die Anerkennung der Gehörlosen als sprachliche Minderheiten hängt vor allem von der rechtlichen Situation der jeweiligen nationalen Gebärdensprache (in der Folge: GS) ab. Dieser Artikel gibt einen kurzen Überblick über die rechtliche Lage der in den EU-Mitgliedsländern verwendeten Gebärdensprachen.

12% der 370 Millionen EU-BürgerInnen verwenden ca. 40 bis 50 verschiedene Minderheitensprachen. VerwenderInnen von Gebärdensprachen sind in offiziellen EU-Statistiken nicht inkludiert, aber wir können annehmen, daß es fast eine halbe Million GebärdensprachbenützerInnen innerhalb der EU gibt, und daß rund 10.000 Menschen in Österreich ÖGS als Erstsprache verwenden.

Derzeit sind Gebärdensprachen in nur 7 europäischen Ländern anerkannt. Die sprachenrechtliche Situation der GS ist in den verschiedenen Ländern jedoch ziemlich unterschiedlich.

In manchen Gesetzestexten wird zum Beispiel nicht einmal der tatsächliche Name der jeweiligen GS verwendet, sondern einfach nur Gebärdensprache, also der Begriff für eine ganze Sprachfamilie.

Das ist nur ein Hinweis darauf, wie undifferenziert heute teilweise noch mit Gebärdensprachen umgegangen wird, sogar in rechtlichen Texten, die sich doch sonst dadurch auszeichnen, besonders genau zu sein.

In der EU haben folgende Länder ihre nationale GS (in unterschiedlicher Form) anerkannt:

  • In Dänemark wurde 1991 die offizielle Anerkennung von Dänischer GS beschlossen, jedoch nicht verfassungsmäßig, sondern in Bezug auf das Schulsystem: Bilinguale Erziehung mit GS als primäres Mittel zur Verständigung im Unterricht und als Unterrichtsfach ist gesetzlich vorgeschrieben.
  • Seit 1995 ist Finnische GS in der Verfassung verankert.
  • In Frankreich hat die Nationalversammlung 1990 eine Gesetzesänderung beschlossen, nach der Französische GS in der Bildung und Ausbildung Gehörloser einen fixen Platz haben soll.
  • In Griechenland gibt es seit dem Frühjahr 2000 ein Gesetz, das besonders den schulischen Bereich betrifft und die Verwendung von Griechischer GS hier absichert.
  • Das norwegische Parlament hat 1991 eine Reorganisation des Bildungswesens beschlossen, nach der Norwegische GS einen fixen Platz im Schulwesen einnimmt. Norwegen ist für viele andere Länder diesbezüglich ein großes Vorbild.
  • Portugiesische GS ist seit 1997 in der Verfassung des Landes verankert.
  • Schweden hat 1980 Schwedische GS anerkannt: auch hier ist sie die erste Sprache im Schulwesen und gehörlose Kinder haben ein Recht darauf, in dieser Sprache bzw. bilingual unterrichtet zu werden.

Innerhalb Europas haben auch noch die Tschechische und die Slowakische Republik 1998 und 1995 ihre GSen per Gesetz anerkannt, und weltweit zum Beispiel auch Uganda und Südafrika.

Besonders in Canada und den USA gibt es eine gute Absicherung für Gehörlose, sodaß sie sich in der Lebens- und Arbeitswelt in ihrer Sprache verständigen können, und die Mehrheitsgesellschaft, also die Hörenden, für DolmetscherInnen zu sorgen haben.

In Österreich gab es in den 1990ern mehrere Anläufe, ÖGS rechtlich anzuerkennen, die alle im Parlament scheiterten. Die Hauptbegründung war, daß österreichische Gehörlose nicht als „Volksgruppe“ zu sehen seien, und deswegen nicht als solche anerkannt werden können (wie zum Beispiel die SlowenInnen).

Einer der Anläufe endete 1998 darin, daß ÖGS Gerichtssprache wurde, das heißt, Gehörlose dürfen seit damals in ÖGS bei Gericht aussagen.

In der politischen Diskussion um Gehörlose werden in Österreich oft die sprachlichen, sprachwissenschaftlichen Fakten vergessen. Viele staatliche Versuche, „etwas für Gebärdensprachen zu tun“ oder „das Problem zu lösen“ bewegen sich im Kontext der „Behindertendiskussionen“, bei denen es oft um Zugang geht.

Hier wird außer acht gelassen, daß bei Gehörlosen nicht der technische Zugang das Ziel ist, sondern daß mit „Zugang“ zur Gesellschaft, zu Bildung, zu Medien einfach nur ein sprachlicher Zugang gemeint sein sollte. Solche Diskussionen ignorieren den zentralen sprachlichen Aspekt und verleugnen somit die sprachliche und kulturelle Gemeinschaft, die von Gehörlosen gebildet wird.

Der Status und die Rechte von GebärdensprachbenützerInnen, egal auf welcher Ebene (Praxis, Schulcurricula, Gesetze oder Verfassung), sind von enormer Wichtigkeit für die Sicherung der Zukunft der ÖGS und ihrer VerwenderInnen.

Gebärdensprachenpolitik im Sinne von Minderheitensprachenpolitik ist meiner Meinung dringend notwendig.

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