Sozialministerium muss sich entscheiden: Alibi-Papier oder gscheite Studie?

Die nächsten Tage werden spannend. Nun liegt es am Sozialministerium, ob Österreich eine ordentliche Studie zum Thema "Gewalt an und sexueller Missbrauch von Menschen mit Behinderungen" bekommt.

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Doch vor dem Bericht zu den aktuellen Entwicklungen lohnt sich ein Blick zurück:

Im Sozialausschuss am 6. November 2014 wurde aufgrund des Antrags „Maßnahmen gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Menschen mit Behinderungen (94/A(E))“ der Abgeordneten Mag. Helene Jarmer von allen Parteien einstimmig vereinbart, dass das Sozialministerium gemeinsam mit der Volksanwaltschaft eine Studie beauftragt.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer versicherte, dass er diese Studie gerne erstellen lasse. Die vom Sozialausschuss geforderte Kooperation der Volksanwaltschaft sicherte Volksanwalt Dr. Günther Kräuter umgehend zu und legte dabei auch Wert auf eine direkte Einbindung von Menschen mit Behinderungen.

Große Hoffnungen

Viele hofften auf eine wertvolle Studie zu einem Thema, das in Österreich nahezu unerforscht ist. „Es fehlen Fakten, Zahlen und Umstände, wie heute Gewalt und sexueller Missbrauch an Menschen mit Behinderung stattfindet. Dass es stattfindet, ist leider traurige Gewissheit“, meinte etwa Abgeordneter Dr. Franz-Joseph Huainigg.

Husch-Pfusch-Ausschreibung geplant?

Statt sich dieses Themas gewissenhaft anzunehmen, brüskierte das Sozialministerium die Wissenschafts-Community mit einer Ausschreibungsfrist von wenigen Wochen – und dies obwohl hier eine umfassende Aufarbeitung eines Themas gefordert war, die auch noch repräsentativ sein muss (stand in der Ausschreibung). Um diesen Witz zu toppen, wurde die Ausschreibung kurz von dem Sommer ausgeschickt.

Erst nach massiven Protesten war das Sozialministerium bereit, zumindest die Ausschreibungsfrist um einen knappen Monat zu verlängern.

Doch je intensiver sich die rund ein Dutzend vom Sozialministerium angefragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von verschiedenen Institutionen mit der Ausschreibung auseinandersetzten, umso klarer wurde, dass unter diesen Rahmenbedingungen keine vernünftige Arbeit stattfinden kann.

Fast alle mussten unter diesen Rahmenbedingungen absagen

Nach eingehender Prüfung sind fast alle vom Sozialministerium angefragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „trotz bzw. vielmehr aufgrund der Wichtigkeit der geplanten Studie, zu der Entscheidung gelangt, sich auf Grundlage der derzeit seitens des BMASK definierten Rahmenbedingungen NICHT an der Ausschreibung zu beteiligen“.

Dies ist einer gemeinsamen Stellungnahme von 10 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu entnehmen. „Dieses Schreiben ist ein offenes und ergeht neben dem BMASK und der Volksanwaltschaft an VertreterInnen von Parteien und andere Stellen, die mit dem Thema befasst sind.“ (BIZEPS erhielt das Schreiben mehrfach zugesandt.)

Äußerst ausführlich legen die Expertinnen und Experten auf 11 Seiten dar, was inhaltlich und finanziell mangelhaft ist. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler drängen darauf, „dass die Studie mit veränderten inhaltlichen und methodischen Standards sowie einer angemessenen Budgetierung neu ausgeschrieben wird“.

Qualität wäre gefordert

Die Bearbeitung des Themas Gewalt gegen Menschen, die überwiegend in Abhängigkeitsverhältnissen leben, erfordert aus forschungsethischer sowie forschungsmethodischer Sicht eine zeitintensive Vor- und Nachbereitung und damit einhergehend eine Durchführung der Untersuchungssituation, die durch inhaltlich, methodisch als auch psychologisch kompetente Personen vorgenommen und begleitet wird. Ansonsten besteht nicht nur die Gefahr der Generierung eines verzerrten Datenmaterials (z.B. aufgrund von Antworten nach sozialer Erwünschtheit), sondern auch einer Retraumatisierung von Menschen mit Gewalterfahrungen. Die selbst in standardisierter Form nur in Interviewform durchzuführenden Befragungen von in Einrichtungen lebenden Frauen und Männern mit Behinderung erfordern eine hochkomplexe, sensible ‚dialogische Interviewführung‘„, ist der gemeinsamen Stellungnahme unmissverständlich zu entnehmen.

Weiters wird ausgeführt: „Die in der Ausschreibung geforderten Leistungsbestandteile machen zeitintensive Vorerhebungs- und Vorbereitungsschritte notwendig, die einen Zeitrahmen von mindestens zwei Jahren für die gesamte Studiendurchführung erforderlich machen. … Ein Projektstart per 01.08.2015 ist daher nicht möglich und würde den ohnehin deutlich zu kurz angesetzten Untersuchungszeitraum nur weiter begrenzen.

Die gemeinsame Stellungnahme führt über mehrere Seite klar und leicht nachvollziehbar aus, warum die Grundannahmen des Sozialministeriums bei der Erstellung der Studienausschreibung naiv (evtl. sogar oberflächlich) waren.

Überhaupt nur ein Angebot eingelangt – wie soll es nun weitergehen?

Es kam daher, wie es kommen musste. Da fast alle angefragten Expertinnen und Experten von Vornherein abschätzen konnten, dass unter diesen Rahmenbedingungen die Ziele der Studienausschreibung unerreichbar sind, langte schlussendlich überhaupt nur ein Angebot ein.

Im Rahmen der Begleitgruppe zur Studie am 23. Juli 2015 soll nun „die weitere Vorgangsweise erörtert werden“, kündigt das Sozialministerium in der Einladung an. Es bleibt zu hoffen, dass das Sozialministerium doch noch die Wichtigkeit des Themas und die Verbesserungsmöglichkeiten durch eine ordentliche Studie erkennt. (Derzeit wird die weitere Vorgangsweise des Sozialministeriums noch „geprüft“.)

Wenn nicht, bleibt zu befürchten, dass dies eine jener berüchtigten „Studien für die Schublade“ wird, die nur einem Zweck dienen, nämlich Aktivität vorzutäuschen.

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