„So wie du bist“ – aber noch immer unter fremder Entscheidungshoheit

Der Spielfilm war insgesamt ein sehr gelungener Beitrag für die öffentliche Bewusstseinsbildung, aber auch für die filmischen Beiträge des ORF.

Film: So wie Du bist - Juliana Götze und Sebastian Urbanski
ORF

Viel wurde über die eindrucksvolle Schauspielleistungen von Juliana Goetze und Sebastian Urbanski und auch ihrer prominenten SchauspielkollegInnen im ORF-Film „So wie du bist“, ausgestrahlt am 11. April 2012 im Hauptabendprogramm, geschrieben. Zu Recht.

Die Liebesgeschichte zweier Menschen mit Down-Syndrom, die heiraten wollen, berührte, war achtsam gegenüber den Problemen aber auch den Fähigkeiten von Menschen mit Down-Syndrom, war respektvoll auch gegenüber den Erfahrungen und Ängsten betroffener Eltern.

Der Spielfilm war insgesamt ein sehr gelungener Beitrag für die öffentliche Bewusstseinsbildung, aber auch für die filmischen Beiträge des ORF. Schön wäre eine Weiterführung dieses Ansatzes – aus vielerlei Gründen. Unter anderem wegen der notwendigen Kritik, die auch geäußert werden sollte.

Kritikpunkt 1: Wahlrecht gilt für alle – ohne Ausnahme

Eine Schlüsselstelle des Filmes: zwei hochrangige Richterinnen – also juristische Instanzen und von daher für das Publikum Garant für sachliche Richtigkeit – im Gespräch: „Wir reden über Personen, die nicht einmal wählen dürfen, die überhaupt keine Lobby haben.“

Ich möchte nicht beckmessern, dass wir als Lebenshilfe oder in den vielen Partnerorganisationen in und um die ÖAR eine durchaus effiziente Lobby sind, denn in Summe kann man durchaus vertreten, dass dies bei weitem nicht genug ist. Aber der Satz mit dem „nicht wählen dürfen“ ist schlicht und ergreifend falsch! Und das sollte im Leitmedium ORF einfach nicht passieren!

Das Wahlrecht ist in Österreich eine der bürgerlichen Grundfreiheiten und gilt selbstverständlich auch für Menschen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung / Menschen mit Lernschwierigkeiten. Ohne Wenn und Aber. Daher haben wir auch unsere Wahlbroschüre verfasst, die in Leichter Sprache geschrieben ist und die sich die Autoren vielleicht anschauen sollten. In diesem Punkt wünsche ich mir bessere Recherche seitens des Autorenteams.

Kritikpunkt 2: Heirat ist durchaus möglich

Zweiter Kritikpunkt: Es wurde der Eindruck vermittelt, und wieder im Gespräch zweier juristischer Autoritäten (die Richterin und ihr Anwalt), dass die beiden behinderten Liebenden zivilrechtlich nicht heiraten können, weil sie nicht geschäftsfähig sind. Punkt im Film. Und falsch. Natürlich können Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung heiraten. Es ist korrekt, dass sie dafür geschäftsfähig sein müssen.

Für die behinderten Menschen, die nicht unter Sachwalterschaft stehen, ist das kein Problem. Wer hingegen unter Sachwalterschaft steht, braucht für eine Heirat die Zustimmung des Sachwalters, der Sachwalterin. Wenn die aber zustimmen, ist eine standesamtliche Heirat sehr wohl möglich.

Und hier hinkt der Film inhaltlich, weil eben diese Information vorenthalten wurde. Und künstlerische Freiheit ist hier m.E. kein Argument. Wenn die beiden Elternseiten am Ende des Filmes doch ganz glücklich mit der kirchlichen Heirat sind, warum muss man dann die „katholische“ Lösung suchen, also zwar die gegenseitige Spendung des Sakraments der offensichtlich doch einsichtsfähigen Liebenden, aber die elterlichen Sachwalter ermöglichen nicht die standesamtliche Heirat? Seltsam und irgendwie sehr österreichisch.

Fortsetzung gewünscht

Aber hier wäre ja die Möglichkeit der Fortsetzung der schönen Geschichte. Die Eltern diskutieren das. Man kann natürlich dann auch Argumente bringen, dass die standesamtliche Heirat aus anderen – in vielen Fällen dann meist finanziellen Erwägungen – nicht sinnvoll ist. Aber das sollte dann auch ausgesprochen und problematisiert werden. Oder: Offen bleibt die künftige Gestaltung der Paarbeziehung. Welche Unterstützung ist nötig? Wo hilft persönliche Assistenz zu einem Leben jenseits der elterlichen Fürsorge?

Was bedeutet es für die Unterstützung, wenn die beiden wider Erwarten und statistische Wahrscheinlichkeit doch ein Kind bekommen?

Was könnte es bedeuten, wenn die Eltern auf die Sachwalterschaft verzichten, um den erwachsenen „Kindern“ die Autonomie von sich zu ermöglichen. Welche Unterstützung, welche Alternativen zur traditionellen Sachwalterschaft wären denkbar?

Spannende Themen für weitere filmische und journalistische Bearbeitungen …

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