Justitia

Richtungsentscheidung des OGH: Behindertes Kind ein Schaden?

Eine 31-jährige Salzburgerin, die ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt gebracht hat, fordert vom Arzt nun Unterhaltszahlungen.

In zwei Instanzen blitzte die Frau ab, berichtet die Tageszeitung Kurier. Doch der OGH hob die Urteile auf und schickte den Akt zur Verfahrensergänzung wieder an den Start zurück. Mit dem deutlichen Hinweis: „Wenn der Arzt erkennt, dass ärztliche Maßnahmen erforderlich sind, hat er den Patienten auf diese Notwendigkeit und die Risken der Unterlassung hinzuweisen. Dabei hat die Belehrung umso ausführlicher und eindringlicher zu sein, je klarer für den Arzt die schädlichen Folgen des Unterbleibens sind …“

„Dazu hat der Oberste Gerichtshof (OGH) ein richtungsweisendes Urteil (5 Ob 165/05h) gefällt: Demnach haftet ein Gynäkologe, der eine werdende Mutter nicht ausreichend über erkennbare Anzeichen einer drohenden Behinderung aufklärt, grundsätzlich für den gesamten Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind“, fasst der Kurier das Urteil zusammen. Der Fall wurde mit dieser Vorgabe nun an die Erstinstanzen der Justiz zurückverwiesen, ist ORF-Salzburg zu entnehmen.

„Brauchen noch Zeit“

In der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) will man das Urteil in nächster Zukunft diskutieren, berichtet der Standard. Der Präsident der Gesellschaft, Wolfgang Stummvoll (Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz): „Da brauchen wir aber noch ein bisschen Zeit. Für eine Stellungnahme ist es noch zu früh. Dass man die Patienten umfassend aufklären muss, damit sie eine verantwortliche Entscheidung treffen können, ist ein grundsätzliches Prinzip der Medizin.“

„Bei der Affäre geht es nicht um die Frage, ob die Geburt eines behinderten Kindes einen Schaden an sich darstellen könnte. Vielmehr steht ausschließlich das Thema der notwendigen umfassenden Information von Patienten im Mittelpunkt“, schreibt der Standard in seiner Online-Ausgabe.

Reaktion der Parteien

Heftige Reaktionen seitens der Politik waren vorhersehbar. Besonders die ÖVP nahm mehrfach dazu Stellung. Markus Kroiher, Landesobmann der Jungen ÖVP Wien, meinte etwa: „Die Herabwürdigung behinderter Menschen als ‚Schadensfall‘ ist absolut inakzeptabel und entspricht längst vergangener und verurteilenswerter Einteilungen in ‚wertes‘ und ‚unwertes‘ Leben.“ Dem „neu entdeckten Trend ist mit aller Macht entgegenzutreten“, so Kroiher.

Der Behindertensprecher der Bundes-ÖVP, Dr. Franz-Joseph Huainigg, kritisiert: „Diese Entscheidung des OGH bedeutet in letzter Konsequenz, dass ein Arzt dafür haften muss, dass ein Kind nicht abgetrieben worden ist.“

Sollte sich diese Rechtsprechung durchsetzen, „dann ist Feuer am Dach! Dann müssen wir uns in der nächsten Legislaturperiode ernsthaft mit der Frage befassen, wie durch eine gesetzliche Regelung die Haftung der Ärzte neu geregelt werden kann und wie die Beratung vor, während und nach einer pränatalen Diagnose weiter entwickelt und ausgebaut werden kann“, so Huainigg.

Für SPÖ-Behindertensprecherin Christine Lapp ist das Urteil des OGH, wonach ein Arzt für ein behindertes Kind mit Down-Syndrom zahlen muss, weil er es unterlassen hatte, der werdenden Mutter eine eindeutige Diagnose zu kommunizieren, ein Beispiel, aus dem man nur lernen könne, schreibt sie in einer Aussendung.

„Die Diagnose einer eventuellen Behinderung, wie Trisomie 21, dürfe daher keinesfalls seitens des Arztes aus der Angst heraus, die Wahrheit wäre ein zu großer Schock für die Patientin, verheimlicht oder nur verbrämt mitgeteilt werden“, betonte Lapp, die allerdings gleichzeitig darauf hinwies, dass die dann daraus gefolgerte Entscheidung für oder gegen das Kind eine höchst persönliche der Eltern sei und keinesfalls von außen zwanghaft beeinflusst werden dürfe.

„Ein behindertes Kind ist kein Schaden, den es zu vermeiden gilt. Den Preis, den man für diese Vermeidung zu bezahlen hat, nämlich das Leben des behinderten Kindes, ist zu hoch“, stellte die Behindertensprecherin der ÖVP Wien LAbg. Karin Praniess-Kastner heute anlässlich der Debatte um ein OGH Urteil fest.

Abtreibung „sicherheitshalber“

In einem lesenswerten Artikel in der Presse fragt Martina Salomon, was am besten wäre. „Das jüngste Urteil kann zur – teuren – Absicherungsmedizin führen. Die aufwändigste Untersuchung – und eine Abtreibung ’sicherheitshalber‘. Als Mediziner möchte man ja nicht später für etwas haftbar gemacht werden. „

Lebenshilfe: „Richtungsentscheidung des OGH“

„Die Richtungsentscheidung des OGH in der Frage der ungewollten Geburt eines Kindes mit Behinderungen kann ja wohl nicht der Endpunkt gewesen sein,“ meint Univ. Prof. Dr. Germain Weber, Präsident der Lebenshilfe Österreich. „

An dem Urteil sieht man auch deutlich, dass in so einer schwierigen Situation eine qualitätsvolle Kommunikation und Beratung wichtig ist,“ meint Mag. Albert Brandstätter, Geschäftsführer der Lebenshilfe Österreich.

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