Justitita mit Blindenstock

Reform des Notariatsaktszwanges für sinnesbehinderte Menschen auf Schiene

Die jahrelange Diskussion rund um den diskriminierenden Zwangsschutz geht jetzt immer konkreter in Richtung Reform, weg vom Zwangsschutz und hin zu einem frei wählbaren Serviceangebot.

Bereits im Jahr 1871 wurde zum Schutz vor Übervorteilung blinder Menschen bzw., wie der Gesetzgeber dies formulierte, „tauber Personen, die nicht schreiben, und stummer Personen, die nicht lesen können“ der Abschluss von schriftlichen Urkunden unter Lebenden zwingend in Form eines Notariatsaktes gesetzlich vorgeschrieben.

Da sich die Rahmenbedingungen und Lebensrealitäten behinderter Menschen jedoch seit dem Jahr 1871 insbesondere durch die Inanspruchnahme technischer Hilfsmittel und der elektronischen Medien weitestgehend geändert haben, plädierten die Interessenvertretungen der behinderten Menschen immer vehementer für eine Lockerung dieses entmündigenden und diskriminierenden Zwangsschutzes, so dass es letztlich im Jahr 2001 zu einer zaghaften Lockerung kam.

Nach § 1 Abs. 1 lit. E Notariatsaktsgesetz besteht derzeit grundsätzlich eine Notariatsaktspflicht für die Errichtung von Urkunden über Rechtsgeschäfte unter Lebenden, die von blinden Personen bzw. von gehörlosen Personen, die nicht lesen oder stummen Personen, die nicht schreiben können, geschlossen werden, sofern es sich nicht um Geschäfte des täglichen Lebens handelt, die von einer Vertrauensperson mitunterfertigt werden, oder um die Begründung eines Girokontos; auf die bei Fehlen eines ansich erforderlichen Notariatsaktes daraus resultierende Ungültigkeit des Rechtsgeschäftes kann sich nach § 1 Abs. 3 NotariatsaktG nur die behinderte Person berufen. Dieses zum Schutz der behinderten Menschen vorgesehene erhöhte Formerfordernis ist nach § 4a des Notariatstarifgesetzes idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 98/2001 auch gebührenbefreit worden.

Trotz der zaghaften Lockerung der Notariatsaktspflicht blieb der Makel einer diskriminierenden Entmündigung behinderter Menschen durch diesen Zwangsschutz an § 1 Abs. 1 lit. e Notariatsaktsgesetz haften; deshalb sprachen sich die Interessenvertretungen der Menschen mit insbesondere Sehbehinderungen weiterhin vehement für eine noch weiter gehende Lockerung dieser Schutznorm aus.

Demzufolge wurde sodann im Ministerialentwurf für ein Behindertengleichstellungs-Begleitgesetz eine Novelle zum Notariatsaktsgesetz aufgenommen, mit der es zu einer weiteren Liberalisierung kommen hätte sollen; da es allerdings im Begutachtungsverfahren massive Bedenken, insb. der Österreichischen Notariatskammer, hinsichtlich der Zweckmäßigkeit dieser geplanten Lockerung der Notariatsaktspflicht gab, wurde der Novellierungsvorschlag kurzerhand wieder aus dem Entwurf des Behindertengleichstellungs-Begleitgesetzes herausgenommen und seitens des Justizministeriums angekündigt, eine grundlegende Reform dieser Schutznorm mit den betroffenen Gruppen diskutieren zu wollen.

Reform: Weg vom fremdbestimmten Zwangsschutz, hin zum selbstbestimmten Serviceangebot

Im Rahmen der Beschlussfassung des Behindertengleichstellungs-Begleitgesetzes im Plenum des Nationalrates am 24. Mai 2006 wurde sodann, auf Initiative des Sprechers für Menschen mit Behinderung der ÖVP, Dr. Franz-Joseph Huainigg und der Behindertensprecherin des BZÖ, Dr. Helene Bartik-Pablé, auch eine diesbezügliche parlamentarische Entschließung mit den Stimmen aller Parlamentsparteien verabschiedet:

„Die Bundesministerin für Justiz wird ersucht, unter Einbeziehung von Behindertenvertretern und der Österreichischen Notariatskammer, eine grundlegende Reform des § 1 Abs. 1 lit. e Notariatsaktsgesetz und zwar in Richtung, den Notariatsakt für bestimmte Gruppen von behinderten Menschen nicht als eine Zwangsform, sondern – im Interesse der behinderten Menschen – als Serviceangebot zu gestalten, dem Nationalrat zu übermitteln.“

Bereits am 31. Mai 2006 entsprach das Justizministerium dieser parlamentarischen Entschließung und lud die Vertreter der Österreichischen Notariatskammer, der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, des Österreichischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes, der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs, des Vereines Blickkontakt und des Forums Gleichstellung zu einer ersten Gesprächsrunde zum Thema der Reform des Notariatsaktszwanges hin zu einem frei wählbaren Serviceangebot ein.

Die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung betonten dabei einhellig, dass der Zwangsschutz eine entmündigende Diskriminierung darstelle, EU-weit so gut wie nirgendwo mehr – mit Ausnahme von Ungarn und Slowenien – existiere und die Umwandlung in ein frei wählbares Serviceangebot die einzig denkbare Schutzform sei.

Ein diesbezüglicher konkreter Textvorschlag des Justizministeriums und eine weitere Diskussionsrunde noch vor dem Sommer wurden in Aussicht gestellt.

Die Zeichen dürften also durchaus positiv stehen, dass es nun endlich doch zur schon lange geforderten Reform des fremdbestimmten Zwangsschutzes hin zu einem zeitgemäßen selbstbestimmten Serviceangebot eines erhöhten Schutzes, den man in Anspruch nehmen kann, aber nicht muss, kommt.

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