Nueva – Nachfrage steigt

Nueva (Nutzerinnen und Nutzer evaluieren) - das Grazer Projekt für Menschen mit Lernschwierigkeiten und Behinderung - wird zunehmend nachgefragt.

Klaus Candussi
atempo

Das erfuhr Franz Schmahl (kobinet) im Interview mit Klaus Candussi. Er ist Geschäftsführer des Vereins atempo, wo diese Idee entstanden ist.

kobinet: Unter dem Dach des gemeinnützigen Vereins atempo gibt es seit Mai 2009 in Graz Nueva, eine eigene Firma für die Evaluation von Dienstleistungen im Wohn- und Arbeitsbereich. Wieviele Menschen mit Lernschwierigkeiten und Behinderung wurden inzwischen als Evaluatoren ausgebildet?

Candussi: Ja, nueva ist als eigene gGmbH ausgegliedert worden. Diese steht im Eigentum des ebenfalls gemeinnützigen Vereins atempo. In der Steiermark wurden 8 EvaluatorInnen von 2001 bis 2004 ausgebildet. Auf unserem „Heim“-Markt in der Steiermark – Teamgröße 10 Mitarbeitende, davon 6 mit Lernschwierigkeiten – haben wir sehr stabile Arbeitsverhältnisse. Die ersten „nuevas“ sind nun schon seit 8 Jahren bei uns angestellt und wir haben wenig Fluktuation. Daher bestand hier kaum weiterer Ausbildungsbedarf.

Seit 2012 wird nueva aber auch in Oberösterreich flächendeckend eingesetzt. Dafür wurden in den letzten beiden Jahren 9 Personen in Kooperation mit unserem oberösterreichischen Partner ausgebildet (12 hatten die Ausbildung begonnen). Alle neun beginnen aktuell gerade als Angestellte des „Kompetenznetzwerks Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen“ ihre Arbeit im Auftrag des Landes Oberösterreich.

kobinet: Gab es keine Rückschläge?

Candussi: Doch, die dürfen wir nicht verheimlichen: Ausgebildet wurden in der nueva-Geschichte auch noch 12 Personen in Wien und 8 in Kärnten. Wien entschied sich nach 4 Jahren Evaluierungspraxis, die Kosten nicht mehr aufbringen zu wollen. In Kärnten brachte ein Politikwechsel von einer sozialdemokratischen Sozialreferentin zu einem freiheitlichen Soziallandesrat das „Aus“ für das Projekt unmittelbar vor Beginn des Regelbetriebes. Die fertig ausgebildeten EvaluatorInnen konnten ihrem erlernten Beruf nicht nachgehen.

kobinet: In Berlin (kobinet 20.2.12) läuft es aber ganz gut?

Candussi: In Berlin werden aktuell 14 Personen ausgebildet und starten im Sommer mit dem Regelbetrieb. Insgesamt haben also bisher 51 Personen die nueva Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, bzw. stehen knapp davor, 29 davon sind (immer noch) als EvaluatorInnen beschäftigt, bzw. stehen knapp davor.

kobinet: Wie entwickelt sich die Nachfrage für diese Art eines Qualitätsmanagements, bei dem die Betroffenen selbst als Expertinnen und Experten einschätzen, wie ein Wohnheim oder eine Werkstatt modernen Ansprüchen gerecht wird?

Candussi: Wenn wir die Entwicklung der letzten 10 Jahre Revue passieren lassen, so steigt das Interessen an nueva kontinuierlich. In Österreich, wo nueva zum bei weiten überwiegenden Anteil von den Landesregierungen „eingekauft“ wird, wurde aktuell vom Land Tirol Interesse an einer Umsetzung in diesem Bundesland angemeldet.

Mit einer israelischen Organisation, die sich nueva vergangenes Jahr in Graz ganz genau anschaute, wird es 2012 erste (noch kleine) Umsetzungsschritte erstmals also auch außerhalb der EU geben. In Deutschland kommen die Anfragen zumeist von Trägerorganisationen selbst. Hier nimmt die Zahl der Aufträge nach wie vor zu; und auch die Verteilung über das Bundesgebiet gestaltet sich immer ausgeglichener. Waren wir erst verstärkt im Norden Deutschlands tätig, so sind wir 2011 mit einem großen Auftrag erstmals in Bayern angelangt.

kobinet: Was sagt die Statistik?

Candussi: Derzeit hält Nueva bei insgesamt mehr als 6.000 durchgeführten Interviews. Nachfrage gibt es auch nach einem Transfer der Methodik der Nutzer-Evaluierung in andere Bereiche, etwa den Altenbereich. Hier haben wir aber erst kleine Pilotversuche gemacht, die die Übertragbarkeit bestätigen; eine erste große Umsetzung steht aber noch aus.

kobinet: Nueva ist Partner des ersten deutschlandweiten Ausbildungsprojekts, das in Berlin nach dem Vorbild „Nutzerinnen und Nutzer evaluieren“ begonnen hat. Wie war die Zusammenarbeit mit den Berlinern im jetzt abgeschlossenen ersten Ausbildungsjahr?

Candussi: atempo arbeitet grundsätzlich nach dem Prinzip, nicht selbst (als Organisation) durch die Gründung von Filialen zu wachsen, sondern unsere Ideen auf dem Weg von Partner-Netzwerken wachsen zu lassen. Die Partnerschaft mit Berlin gestaltet sich dabei schon seit Jahren als überaus fruchtbar und auch atmosphärisch sehr, sehr angenehm. Mit dem capito-Partner „die Reha, e.v.“, unserer Mitwirkung im Projekt T4 und vielen wechselseitigen Vorträgen (von BerlinerInnen in Graz und umgekehrt) reicht der Austausch inzwischen weit über die nueva-Kooperation hinaus.

kobinet: Und in der nueva-Partnerschaft selbst …

Candussi: … sind nicht nur auf der Ebene der diversen Geschäftsführungen viele Bande geknüpft worden. Der rege Austausch bei den regelmäßigen Schulungen, die vielen wechselseitigen Besuche, die enge Zusammenarbeit im Projekt „UNIQ“ der EU und nicht zuletzt durch die gemeinsame Freude über den Consozial-Preis sind auch auf der Ebene der MitarbeiterInnen mit Lernschwierigkeiten viele und sehr enge Beziehungen gewachsen. Wir gehen daher guten Mutes davon aus, dass wir dieses äußerst kooperative Klima auch in die Zusammenarbeit mit der kurz vor der Gründung stehenden Berliner nueva-Gesellschaft mitnehmen werden.

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