Lebenshilfe Tirol massiv in der Kritik

Die Medien berichten ausführlich über aufklärungsbedürftige Vorfälle in der Lebenshilfe Tirol. Hunderttausende Euro wurden fragwürdig verwendet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Lebenshilfe Tirol
Lebenshilfe Tirol

Begonnen hatte die Berichterstattung am 15. Dezember 2010 mit einem aufrüttelnden Artikel auf dietiwag.org, einem Internetangebot von Markus Wilhelm, der schon in der Vergangenheit eine Vielzahl von Machenschaften im Umkreis des Tiroler Stromkonzerns TIWAG und der Tiroler Politik aufdeckte.

Die Vorwürfe im Detail:

Wilhelm, der bisher schon immer mit erstklassigen Informationen auffiel, zeigte auf, wie der ehrenamtliche Präsident der Lebenshilfe Tirol, Hanspeter Zobl, rund 100.000 Euro für Tätigkeiten bei einer Verlassenschaft als Notar der Lebenshilfe verrechnet hat. (Zum Vergleich: Bei einem anderen Begünstigten, dem Seraphischen Liebeswerk, hätte das deren Anwalt ohne Honorar abgewickelt.)

Weiters wurden teure „Wohnrechte“ an Eltern von behinderten Menschen verkauft (zwischen 20.000 und 50.000 Euro) für Leistungen, die angeblich das Land Tirol übernimmt.

Auch bei den Ausgaben zeigt sich die Lebenshilfe spendabel: „… kassiert Hofherr Communikation dort, ob etwas zu tun ist für den Verein oder grad nicht, monatlich eine fixe Pauschale von 6.678 Euro.“

Die Lebenshilfe Tirol Ges.m.b.H. ist ins Stadtzentrum übersiedelt und hat dafür 4 Millionen Euro ausgegeben – die frühere Lebenshilfe-Zentrale sowie ein weiteres Bürogebäude der Lebenshilfe stehen dafür leer.

Wer nun glaubt, der Bericht soll der Lebenshilfe Tirol schaden, irrt. Markus Wilhelm hält am Ende des Artikels unmissverständlich fest: „Spendet. Spendet auch weiterhin. Aber spendet nicht an eine Lebenshilfe Tirol unter dieser Führung. Spendet auf ein Treuhandkonto, auf das Präsident Zobl keinen Zugriff hat.“

Zahlreiche Medienberichte

Angesichts der massiven Vorwürfe und der vorgelegten Informationen folgte das erwartbare Medienecho. „Präsident der Tiroler Lebenshilfe unter Betrugsverdacht“ (Standard), „Heftige Debatte um Lebenshilfe“ (Tiroler Tageszeitung), „Selbstbedienung bei Lebenshilfe“ (Krone) sowie „Lebenshilfe: Kritiker fordern Vorstandswechsel“ (ORF-Tirol), lauten einige der zahlreichen Artikel zu den Vorfällen.

Der nächste „Knüller“ sei, dass Zobl seiner Notariatskanzlei in Innsbruck hunderte Vertragsabwicklungen der Lebenshilfe zugeschanzt haben soll, berichtet die Krone.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Die Angelegenheiten könnten – jenseits der moralischen Vorwürfe – auch noch ein gerichtliches Nachspiel haben. Grund dafür sind die in der Vergangenheit an Eltern verkauften Wohnrechte, da diese Leistung eigentlich von der Behindertenhilfe des Landes abgedeckt zu sein scheint. Laut ORF-Tirol heute wird auf Verdacht des Betrugs unter Vortäuschung falscher Tatsachen geprüft.

Zitat aus dem Bericht des Landesrechnungshofs: „So stellt sich etwa die Frage, ob der vom Land für die Begleitung von Wohnungsberechtigten, die ihr Wohnungsrecht ausüben, entrichtete Tagsatz entsprechend der durch den Entschädigungsbetrag bereits beglichenen Kosten gesenkt wird. Dies ist nicht der Fall, so dass das Land im Rahmen der Tagsätze auch für Leistungen bezahlt, die der Wohnungsberechtigte durch den Entschädigungsbetrag bereits selbst beglichen hat. Anders ausgedrückt, bezahlt der Mensch mit Behinderung für Leistungen, die ihm aufgrund einer entsprechenden Bewilligung ohnedies zustehen.“

Laut Krone existieren 25 solcher Verträge mit Personen und laut Tiroler Landesrechnungshof hat die Lebenshilfe Tirol dafür in Summe 820.725 Euro von den Angehörigen dafür genommen.

„Die Staatsanwaltschaft hat laut ORF-Tirol Ermittlungen (Verdachts des Betrugs) aufgenommen, ob die Verträge angesichts der verpflichtenden Absicherung überhaupt notwendig sind“, schreibt dazu die Tiroler Tageszeitung.

Partnerschaftsvertrag zwischen Lebenshilfe und Land Tirol

„Seit Jahren kritisieren andere soziale Organisationen, dass die Lebenshilfe dadurch eine Art Monopolstellung in Tirol erhalte“, informiert ORF-Tirol.

BIZEPS-INFO zeigte im Jahr 2006 den Weg „Von der Elterninitiative zum Konzern“ auf. Der Geschäftsführer Helmut Rochelt meinte damals zum ORF: „Ich glaube, dass das Monopol an und für sich keine schlechte Sache ist. Schlimm wird es immer dann, wenn Monopolmissbrauch stattfindet. Dafür, dass das nicht geschieht, sorgen genügend andere.“

Genau dies dürfte derzeit passieren. Ende November 2010 wurde ein Bericht des Landesrechnungshof bekannt, der – laut Tiroler Tageszeitung – ein „sehr kritisches Resümee über den im Jahr 2005 abgeschlossenen Partnerschaftsvertrag mit der Lebenshilfe“ zieht. Zur Lebenshilfe hält der Landesrechnungshof fest, „dass dieser Leistungsanbieter seinen Marktanteil ständig ausgebaut hat.“ Doch die Umsetzung durch die Lebenshilfe wird kritisiert: „Wesentliche Vertragspunkte waren auch fünf Jahre nach Vertragsabschluss nicht erfüllt. Beispielsweise waren die Leistungs-, Kalkulations- und Qualitätsstandards und Richtlinien noch nicht ausgearbeitet.“

Ein Gespräch mit dem Land Tirol im Jänner 2011 soll Klärung bringen.

Lebenshilfe Tirol nimmt Stellung

Die Lebenshilfe Tirol GmbH nimmt schriftlich zu einigen der Vorwürfe Stellung. Die Stellungnahme wurde an Medien (darunter auch BIZEPS-INFO) versandt. Man spricht von „haltlosen Verdächtigungen“ und „persönlichen Angriffen“. Man spricht davon, dass „sich die Arbeit der Lebenshilfe Tirol immer dem Prinzip der sparsamen Mittelverwendung verschrieben hat und erläutert, warum die Büroräumlichkeiten kein schlechtes Geschäft waren, die Kritik an den Wohnrechten zynisch, der Vertrag mit dem Land Tirol wichtig sei und die Honorare der Notariatskanzlei Zobl angemessen. (Brief im Volltext)

Für Lebenshilfe-Präsident Zobl handelt es sich bei den Vorwürfen um eine „Hetzkampagne“. Der ÖVP-Landtagsabgeordnete Jakob Wolf, selbst Obmann der Lebenshilfe im Bezirk Mist, fordert die Allgemeinheit auf „sich mit Kommentaren und Vorwürfen zurückzuhalten. Die Staatsanwaltschaft wird gebeten, ihre Ermittlungen gegen Präsident Dr. Zobl rasch zu einem Ergebnis zu bringen“, so Wolf in einer Aussendung der ÖVP.

DIE Lebenshilfe gibt es nicht

Was in der Diskussion nicht unerwähnt bleiben sollte, ist die Feststellung: „DIE Lebenshilfe“ gibt es nicht. Die Landesorganisationen der Lebenshilfe sind eigenständige Organisationen, die völlig autonom entscheiden und handeln. Trotzdem ist es in der Öffentlichkeit so, dass Vorfälle wie nun bei der Lebenshilfe Tirol sicherlich dem Gesamtbild der Lebenshilfe schaden und andere Organisationen – wie beispielsweise die Lebenshilfen anderer Bundesländern – darunter leiden.

Bei der Lebenshilfe Tirol ist noch zu erwähnen, dass sie aus dem „Verein Lebenshilfe Tirol“ und der Dienstleistungsorganisation „Lebenshilfe Tirol gem. GmbH“ besteht.

Personelle Konsequenzen?

„Ob Zobl dann noch einmal Präsident wird, ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich. Lebenshilfeintern fordern viele bereits einen Generationenwechsel an der Spitze“, ist auf ORF-Tirol zu lesen. Die nächste Generalversammlung der Lebenshilfe Tirol findet laut Homepage am 11. Feburar 2011 statt.

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