Kindergarten: Das Recht und die Pflicht

In den letzten Wochen wurde massiv Kritik an der Bundesregierung geübt. Es geht um jene 70 Millionen Euro, die aus Bundesmitteln zur Ermöglichung von bundesweiten Kindergärten ausgegeben werden. Monitoringausschuss nimmt Stellung.

UNO-Flagge mit angedeutetem Gesetzestext
BIZEPS

„Ich bin total sauer über dieses mediale Sperrfeuer und wäre in meinen kühnsten Träumen nicht darauf gekommen, dass die 15a-Vereinbarung so gesehen werden könnte“, zeigt sich Staatssekretärin für Jugend und Familie, Christine Marek (ÖVP), im Standard-Interview massiv verunsichert und bezieht sich auf die Kritik, dass es für behinderte Menschen eine Ausnahmeregelung von der Besuchspflicht gibt.

Auch in der Presse wehrt sie sich gegen die – wie sie sagt – „unfaire Kritik„.

Oxonitsch: „Weder Bösartigkeit noch Diskriminierung“

Unterstützung erhält sie vom Wiener Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ), der in dem entsprechenden Absatz, auf den sich die Familienreferenten der Länder geeinigt haben, „weder Bösartigkeit noch Diskriminierung“ erkennt, wie er im Gespräch mit dem Standard sagt. „Jeder, der mit gutem Willen die 15a-Vereinbarung liest, kann daraus nicht ableiten, dass behinderte Kinder ausgenommen sind“, findet Oxonitsch.

Eine Hintertür für Kindergärten, behinderte Kinder abzuweisen, kann er in der Regelung nicht erkennen. „Gerade im städtischen Bereich haben wir schon sehr viele Integrationsgruppen.“

„Könnten diese Ausnahmen nicht dazu missbraucht werden, dass ein Kindergarten ein Kind ablehnt?“, fragt der Standard bei Marek nach. Und da antwortet die Staatssekretärin klar und deutlich: „Ich kann das im Einzelfall nicht ausschließen“. Man werde sich aber gemeinsam mit den Ländern ansehen, wie viel Ausnahmen gemacht werden. „De facto stärkt die Kindergartenpflicht die Position der Eltern, weil sie einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz haben“, meint die Staatssekretärin.

Ob das wirklich stimmt?

„Einen Rechtsanspruch auf integrative Unterbringung im Kindergarten gibt es allerdings nicht“, hält help.gv.at, der „offizielle Amtshelfer für Österreich“, über den derzeitigen Stand des Rechtes fest.

Vereinbarung im Detail

Nun schließen der Bund und die Bundesländer eine „Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über die Einführung der halbtägig kostenlosen und verpflichtenden frühen Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen„, um „allen Kindern beste Bildungsmöglichkeiten und Startchancen in das spätere Berufsleben unabhängig von ihrer sozioökonomischen Herkunft zu bieten, sollen Kinder im letzten Jahr vor Schulpflicht zum Besuch von geeigneten institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen im Ausmaß von mindestens 16 bis 20 Stunden an mindestens vier Tagen pro Woche verpflichtet werden.“

Doch es gibt auch eine Ausnahmebestimmung: „Davon ausgenommen sind Kinder, die vorzeitig die Schule besuchen sowie jene Kinder, denen auf Grund einer Behinderung oder aus medizinischen Gründen bzw. auf Grund eines besonderen sonderpädagogischen Förderbedarfes oder auf Grund der Entfernung bzw. schwieriger Wegverhältnisse zwischen Wohnort und nächstgelegener geeigneter institutioneller Kinderbetreuungseinrichtung der Besuch nicht zugemutet werden kann.“

Über diese Ausnahmebestimmung entbrannte ein Streit. Während die Behindertenbewegung, aber auch Organisationen wie die Diakonie, sowie Politikerinnen und Politiker von allen Parteien dies als Gefahr und benachteiligend sehen, verstehen die zuständigen Regierungsmitglieder die geübte Kritik nicht.

Monitoringausschuss nimmt offiziell Stellung

Der unabhängige Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Österreich bezeichnete die Ausnahme von behinderten Kindern von der Besuchspflicht in einer schriftlichen Stellungnahme vom 27. August 2009 als „nicht nachvollziehbar und nicht gerechtfertigt“, berichtet der Standard.

Doch der Ausschuss, der aus Menschenrechtsexpertinnen und -experten aus verschiedenen Bereichen besteht, verweist auch noch auf einen anderen Punkt: „Gemäß Artikel 4 Abs. 3 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat sich die Republik Österreich verpflichtet, bei der Ausarbeitung von Rechtsvorschriften, die Menschen mit Behinderungen betreffen, mit diesen und den sie vertretenden Organisationen enge Konsultationen zu führen und diese aktiv einzubeziehen.“

Auch dies sei „soweit für den Ausschuss ersichtlich und bekannt“ nicht geschehen, was „eine Verletzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Republik Österreich, insbesondere durch die Regierung“ darstellt.

Ebenso deutlich nimmt der unabhängige Monitoringausschuss zur inhaltlichen Bestimmung Stellung. Die Regelungen zur Ausnahme der Besuchspflicht „steht in Widerspruch zu den verpflichtenden Grundsätzen“. Denn – so der Ausschuss in seiner offiziellen Stellungnahme vom 27. August 2009 weiter – „gerade Kinder mit Förderbedarf, wie zB chronisch kranke Kinder oder solche mit Lernschwierigkeiten bedürfen der selbstverständlichen Inklusion in Maßnahmen, die allen anderen Kindern zur Verfügung stehen. Nur so ist das Ziel, die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftspolitischen Leben zu ermöglichen, zu erreichen“.

Auch Handlungsweisen werden der Regierung nahe gelegt: „Wenn eine konventionsgerechte Umsetzung der Verpflichtung zum Besuch eines Kindergartens einer Ressourcenerhöhung bedarf, so ist diese zu diskutieren und rechtzeitig sicherzustellen. Eine, im Ergebnis, exkludierende Regelung kann in dieser Form nicht gerechtfertigt werden; die zur gleichberechtigten Teilhabe notwendigen Rahmenbedingungen sind zu gewährleisten.“

Um dem Argument der „mangelnden Ressourcen“ gleich im Vorfeld zu begegnen wird abschließend festgehalten: „Der unabhängige Monitoringausschuss verweist der Vollständigkeit halber auch auf die Tatsache, dass angemessene Vorkehrungen zu gewährleisten sind (Art 5 Abs 3 UN-Konvention) und eine Versagung derselben laut UN-Konvention eine Diskriminierung darstellt (vgl Art 2 UN-Konvention).“

Wie geht es weiter?

Es wird nun interessant sein zu sehen, wie die Politik mit dieser kurzen und klaren Stellungnahme des Monitoringausschusses umgeht. Wird die Regelung überdacht oder kommt der Monitoringausschuss in die Verpflichtung diese Diskriminierung bei der UNO zu melden?

Staatssekretärin Marek hat eine Arbeitsgruppe zur Besprechung der Angelegenheit angekündigt. Die erste Sitzung wird noch im September erwartet.

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