(K)ein Zimmer mit Aussicht. Ein persönlicher Kommentar.

Am 2. Juli 2014 habe ich als Privatperson mit behindertenpolitischem Interesse an einer Führung durch das kürzlich eröffnete Pflegewohnhaus Innerfavoriten teilgenommen.

Ausblick im Pflegewohnhaus Innerfavoriten
Karner, Mag. Marianne

Angehörigen und Besuchern sollte die Möglichkeit geboten werden, einen Einblick in das neue Zuhause von 266 hochbetagten und/oder chronisch kranken Frauen und Männern zu bekommen.

Der Hintergrund.

Auf der Website des Wiener Krankenanstaltenverbunds ist zu lesen:

Das „Pflegewohnhaus Innerfavoriten mit sozialmedizinischer Betreuung“ ist eines der neuen Pflegewohnhäuser der Stadt Wien, welches im Zuge der Umsetzung der Geriatriereform im Frühjahr 2014 in Betrieb ging.
Hauptaugenmerk wurde auf modernste Ausstattung, Komfort und kleine, gemütliche Wohneinheiten gelegt. Neben den pflegerischen, medizinischen und therapeutischen Betreuungsangeboten in der Langzeitpflege mit insgesamt 8 Wohnbereichen, bieten wir auch noch weitere zwei Wohnbereiche für Demenzerkrankte mit einem gemeinsam nutzbaren Demenzgarten an.

Ein Einblick. (K)ein Ausblick.

Ich möchte – nur in diesem Kommentar – nicht (!) auf das Thema „Großeinrichtungen“ eingehen. Mir geht es darum, über einen (!) Einblick zu berichten.

Diesem Kommentar habe ich zwei Fotos beigefügt. Sie zeigen den Ausblick, den einige Bewohner und Bewohnerinnen haben. Von ihrem Zimmer aus. Oder auch von den Gangbereichen her. Dieser Ausblick zeigt – vorerst rein sachlich beschrieben – einen hohen Schlot aus Ziegelsteinen. Mögliche Assoziationen dazu sind sicherlich unterschiedlich.

Als sich bei der Besichtigung mein Blick mit dem Blick meiner Begleitperson traf, wussten wir sofort, dass wir das Gleiche dachten. Szenen, Umstände, die wir selbst nicht erlebt haben. Die schon ein und zwei Generationen zurückliegen. Die wir aber von der Schul- und Ausbildungszeit oder der Beschäftigung mit diesem dunklen historischen Erbe her kennen.

Er-hellendes?

Ich und meine Begleitperson wussten schon lange vor (!) der Besichtigung, um welches Gelände es sich hierbei handelt: um die ehemalige Süßwarenfabrik der jüdischen Familie Heller am Belgradplatz im 10. Wiener Gemeindebezirk. Die „Wiener Zuckerln“ sind heute noch auch vielen jungen Leuten ein Begriff.

Der Schlot – ein Überbleibsel der ehemaligen Fabrik. Trotz dieses Wissens, tauchten bei uns eben auch andere Bilder und Assoziationen auf. Ich erlebte es beklemmend, es raubte kurzfristig Atem und Sprache. Ich habe die Fotos einigen Personen aus meinem Bekanntenkreis gezeigt. Und alle zeigten sich irritiert oder betroffen, dass ein Pflegewohnhaus mit diesem Überbleibsel kombiniert wurde.

Argument Denkmalschutz: Ob das Gebäude mit dem dazugehörigen Schlot diesbezüglich geschützt ist, habe ich nicht näher recherchiert. Wenn „nein“, dann frage ich mich, warum man den Schlot vorher nicht gesprengt hat. Wenn „ja“, dann frage ich mich, steht der Denkmal-schutz vor der Menschen-würde? Müssen wir nicht vielmehr lebende Menschen schützen, als alte Gebäude und Denkmäler?

Argument „alle wissen Bescheid“: Sicherlich ist einigen Bewohnern der Umstand bekannt, dass es sich bei ihrem neuen Zuhause um die ehemalige Hellerfabrik handelt. Ob bei allen 266 Bewohnern, möchte ich bezweifeln.

Und wie geht es den dort arbeitenden Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, den Angehörigen und Besuchern mit diesem Ausblick?

Ein bitterer Geschmack bleibt zurück.

Vielleicht fragt sich der oder die eine oder andere: Hat der Autor dieses Kommentars keine anderen Sorgen? Wenn sonst alles „passt“, ist der Schlot doch nebensächlich. – Ich versuche mir vorzustellen, wie es ist, diesen Ausblick zu haben, wenn es nicht so sonnig ist, wie jetzt. Bei grauem Himmel, Regen und Gewitter.

Mit fällt eine Szene aus einem Film ein, wo sich Schneefall und die herabfallende Asche aus einem Schlot vermischen. Und es war kein Schlot einer Fabrik, die Süßigkeiten herstellte.

Oder anders gefragt: Möchten Sie werte Leser und Leserinnen diesen Ausblick haben? Oder soll ihr betagter Großvater dort wohnen?

Kann das nicht ein Anstoß sein, dass wir in unserer kalt gewordenen Leistungs-, Effizienz- und Spargesellschaft vielmehr doppelt und dreifach – achtsam – darauf hinschauen, wie wir – gut und inklusiv – mit alten, kranken und behinderten Menschen umgehen?

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