Alfred Gusenbauer

Interview mit Parteivorsitzenden Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ)

Wie vor jeder Nationalratswahl hat BIZEPS-INFO auch dieses Mal wieder an die Vorsitzenden der Parteien schriftlich Fragen zur Behindertenpolitik gestellt. Hier die Antworten von Parteivorsitzenden Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ).

BIZEPS-INFO: Sind Sie bereit, für die Nationalratswahl einen direkt betroffenen behinderten Menschen an wählbarer Stelle aufzustellen? Wenn ja, wen?

Dr. Alfred Gusenbauer: Die SPÖ hat einen behinderten Kandidaten auf der Bundesliste: Mag. Günter Porta. (Allerdings an sehr weit hinten befindlicher Stelle, Anmerkung der Redaktion).

Festzuhalten ist allerdings, dass vielen Menschen mit Behinderungen eine Lobbyarbeit zu allen politischen Parteien hin sehr wichtig ist und sich sehr viele lieber als parteiunabhängige KämpferInnen sehen. Natürlich werden wir uns auch verstärkt um die Rekrutierung von behinderten Menschen als MitarbeiterInnen bemühen. Außerdem sollten in der Politik immer noch inhaltliche Konzepte zählen, denn nur jemanden zu nominieren bringt keine Bewusstseinsveränderung in den Köpfen der Menschen.

Wir SozialdemokratInnen möchten gerade im Behindertenbereich auf allen Ebenen mit den Betroffenen gut Zusammenarbeiten und in unser aller Interesse positive Ergebnisse erzielen.

BIZEPS-INFO: Welche notwendigen Verbesserungen sehen Sie beim seit 1. Jänner 2006 in Österreich geltenden Behindertengleichstellungspaket? Welche Punkte davon möchten Sie in der nächsten Legislaturperiode verbessern?

Dr. Alfred Gusenbauer: Es gibt seit dem Beginn des heurigen Jahres ein Behindertengleichstellungsgesetz, das die ersten Schritte für mehr Gleichstellung gebracht hat. Dennoch haben behinderte Menschen nach wie vor sehr große Stolpersteine in ihren Lebenswegen. Das beginnt im Bildungssystem, setzt sich über den Arbeitsmarkt, Wohnen bis hin zu Pflege und Betreuung fort.

BIZEPS-INFO: Welche Schwerpunkte wird Ihre Partei in der nächsten Legislaturperiode im Behindertenbereich setzen?

Dr. Alfred Gusenbauer: Die Anliegen von Menschen mit Behinderungen werden von uns Sozialdemokraten sehr ernst genommen. Zehn Prozent der österreichischen Bevölkerung zählen laut WHO zur Gruppe der behinderten Menschen. Das sind in Österreich 800.000 Menschen, die gleichberechtigt leben wollen. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass diese Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen ebenfalls Chancen bekommen, gleichberechtigt an der Gesellschaft teilzuhaben.

Bildung: Die moderne Schule von heute darf Kinder nicht selektieren: alle Kinder, egal ob diese behindert, nicht behindert, lernschwach, ohne deutsche Muttersprache, mit deutscher Muttersprache, verhaltenssauffällig, schüchtern oder hoch begabt sind. Alle Kinder haben das gleiche Recht auf eine bestmögliche Ausbildung durch individuelle Förderung. Wir sind überzeugt, dass Integration in den Schulen Voraussetzung ist, um den Kindern die optimalen Entfaltungs- und Lernmöglichkeiten anzubieten. Gesetzliche Verankerung der Inklusiven Bildung – das Bildungsmodell für das 21. Jahrhundert!

Um Inklusion zu erreichen, muss Integration flächendeckend ausgebaut und bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden, wie: – Gleiche Rahmenbedingungen für Integration in ganz Österreich – Gesetzliche Grundlagen für Integration auch nach der Pflichtschule, Integration darf nicht mit der 8. Schulstufe enden – Klare Rahmenbedingungen für Integration ab der 8. Schulstufe

Schnittstelle Bildung zur Berufsausbildung: Speziell der Bereich Bildung ist für Personen mit Minderung der Erwerbsfähigkeit sehr wichtig, denn ohne adäquate Ausbildung ist es sehr schwer, am so genannten „ersten Arbeitsmarkt“ eine Chance zu haben. Es sind in diesem Bereich speziell Maßnahmen für Jugendliche und für Personen, die im Laufe ihres Lebens mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit konfrontiert wurden, zu setzen.

Arbeitsmarktpolitische Projekte ausbauen: Eigenständig leben zu können ist Grundvoraussetzung in einer integrativen Gesellschaft. Einerseits sind Schulungsprogramme für Jugendliche mit Minderung der Erwerbsfähigkeit gefordert und anderseits Förderungen zur Reintegration von Personen, die aufgrund von Unfällen, körperlichen Beschwerden bzw. beruflichen Einschränkungen (Rehabilitation!) nicht mehr in der Lage sind ihren bisherigen bzw. erlernten Beruf auszuüben. Es ist gefordert, die Maßnahmen des „zweiten Arbeitsmarktes“ auszubauen und zu fördern.

Bei all diesen Maßnahmen sollte jedoch Bedacht darauf gelegt werden, dass sie langfristig angelegt sind, um auch nachhaltig wirken zu können. Auch ist zu gewährleisten, dass Personen mit Minderung der Erwerbsfähigkeit ein adäquates Einkommen erhalten, und nicht unter der Armutsgrenze leben müssen. Dies kann durch die Einführung der so genannten „bedarfsorientierten Grundsicherung“ ermöglicht werden.

Anhebung der Ausgleichstaxe: Ein weiterer wichtiger Punkt besteht darin, dass die Wirtschaft ihre Verantwortung im Hinblick auf die Integration von Personen mit Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht gänzlich durch Freikauf via „Ausgleichstaxe“ abgeben soll. Weiters ist anzumerken, dass diese „Ausgleichstaxe“ nicht zu niedrig sein soll, da es sich um eine diskriminierende Nichtbeschäftigung einer bestimmten Personengruppe handelt. Diese Einnahmen sollten zweckgewidmet für Qualifizierung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen eingesetzt werden.

Weiters ist es wichtig, Betriebe über die Aufnahme von MitarbeiterInnen mit Minderung der Erwerbsfähigkeit zu informieren, die Aufnahme speziell zu fördern, und die Aufklärungsarbeit zu forcieren. Auch sind Projekte zu fördern, die speziell als Bindeglied zwischen Arbeitssuchenden und Betrieben fungieren, beispielsweise in Form von Mentoring, Arbeitsassistenz usw.

Kompetenzzentren Bundessozialämter: Die Bundessozialämter sind wichtige Anlaufstellen für behinderte Menschen und ihre Anliegen. Zahlreiche unterschiedliche Aufgaben werden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundessozialämter erfolgreich abgewickelt. Diese Kompetenzen und Ressourcen müssen unbedingt beibehalten werden, damit auch die Leistungen für behinderte Menschen klar zugänglich sind.

Valorisierung Pflegegeld: Das Pflegegeld muss jährlich mit zumindest der Inflationsrate angehoben werden.

Weiterentwicklung des Angebotes der Beschäftigungstherapie und eine sozialrechtliche Absicherung: Behinderte Menschen in Werkstätten wollen auch in Pension gehen können. Beschäftigungstherapie für Menschen mit Behinderungen sind wichtige Angebote. Dort gibt es zahlreiche Qualifizierungsmaßnahmen, die einen ersten Schritt für eine mögliche berufliche Integration darstellen. Als eine weitere Alternative hat sich die dislozierte Beschäftigungstherapie etabliert, bei der in bestimmten Berufsbereichen (z.B. MalerIn/AnstreicherIn, Hauswirtschaft/Reinigung, Garten- und Landschaftspflege oder Regalbetreuung und Lagerlogistik) mobile Arbeitsgruppen gebildet werden, die außerhalb der Werkstätte Arbeiten übernehmen.

Wohnen: Forderungen sind auch im Bereich „Wohnen“ sinnvoll. Es gilt anstelle der großen Einrichtungen auch in Zukunft zunehmend jene Wohnformen zu fördern und auszubauen, die in das Gemeinwesen integriert sind. Hier haben sich besonders die Wohngemeinschaften und die begleiteten Wohnplätze (Leben in der eigenen Wohnung, mobile Betreuung) bewährt. Eine ausreichende Versorgung mit Wohnformen für Menschen mit Behinderung, die ein Leben in der eigenen Wohnung ermöglichen, ist daher eine wichtige Forderung.

Mitbestimmung und Selbstbestimmung:Auch der Bereich der Mit- und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen fehlt mir. In Zukunft ist eine verstärkte Einbindung von Menschen mit Behinderungen in die Entscheidungsprozesse notwendig. Die gezielte Förderung und Unterstützung der Arbeit von Selbstvertretungsinitiativen wie beispielsweise aus der „People First“-Bewegung ist daher ein wichtiges Anliegen.

Ebenso muss die Mitbestimmung durch gewählte VertreterInnen, die sich für die Anliegen und Wünsche von Menschen mit Behinderung einsetzen, die in den verschiedenen Einrichtungen arbeiten und wohnen, gefördert werden. So gibt es bei Jugend am Werk bereits einen „Werkstättenrat“ und einen „Wohnrat“, deren VertreterInnen schon seit längerem die österreichweite gesetzliche Verankerung solcher Mitbestimmungsgremien fordern (wie auch am 5. Dezember 2005 im Parlament).

Ältere behinderte Menschen: Ausbau der Angebote für SeniorInnen mit Behinderung. Die Anzahl älterer Menschen mit Behinderung steigt und es werden flexible Modelle benötigt, die ihnen entsprechend ihrer persönlichen Situation die passende Betreuung ermöglichen.

Es ist der Wunsch von älteren Menschen mit Behinderung, dass sie in der gewohnten Umgebung bleiben können, aber weniger arbeiten und dafür aktiv ihre Freizeit gestalten können. Auch im Wohnbereich müssen die Angebote stärker auf die Bedürfnisse von älteren Menschen abgestimmt werden.

BIZEPS-INFO: Werden Sie sich für die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Einführung einer bedarfsgerechten Persönlichen Assistenz einsetzen?

Dr. Alfred Gusenbauer: Persönliche Assistenz ist für Menschen mit Behinderungen sehr wichtig. In diesem Zusammenhang wird man mit den Behindertenorganisationen die notwendigen Rahmenbedingungen erarbeiten und Ihre Umsetzung vorantreiben müssen.

BIZEPS-INFO: Wir danken für das Interview.

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