Ich habe noch viel vor!

Der Neopolitiker Franz-Joseph Huainigg im Gespräch mit Gerhard Wagner von Freak Radio.

Franz-Joseph Huainigg
Christian Müller

Freak Radio: Sie sind im Dezember 2002 in die Politik eingestiegen. Wie ist es Ihnen in Ihrem ersten Jahr ergangen?

Franz-Joseph Huainigg (lacht): Mein Einstieg hat eine Menge von neuen Erfahrungen gebracht, denn ich war ja vorher politisch nur in der Behindertenbewegung tätig. Es war eine spannende Zeit: Als Quereinsteiger habe ich mir in der ÖVP erst einen Namen machen müssen und natürlich viele neue Leute kennen gelernt. Doch die Zeit war auch davon gezeichnet, dass ich seit Dezember sehr starke Lähmungserscheinungen habe, teilweise kaum reden konnte und immer wieder im Krankenhaus bin. Jetzt geht es zwar schon etwas besser, aber ich habe mein Programm auf das Notwendigste reduzieren müssen.

Freak Radio: Was haben Sie bereits durchsetzen können?

Franz-Joseph Huainigg: Dass überhaupt ein Gleichstellungsgesetz ausgearbeitet wird, ist ein Erfolg! Es war ja in der Vergangenheit nicht unbedingt das größte Anliegen der Regierung, ein solches auszuarbeiten. Eher war es das Ziel, alle Gesetze zu überprüfen, ob sie der Verfassungsbestimmung („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, Red.) entsprechen und allenfalls Änderungen vorzunehmen. Ich war immer überzeugt, dass es wie in Amerika, Deutschland oder anderen Ländern ein Gleichstellungsgesetz braucht. Das hat sich dann auch im Koalitionsübereinkommen wiedergefunden.

Die Arbeitsgruppe der Bundesregierung mit Betroffenen ist jetzt mit der Ausarbeitung beschäftigt. Es ist mir auch sehr wichtig, dass Betroffene als ExpertInnen in eigener Sache einbezogen werden. Sie bringen ihre Lebensrealität ein und wissen, wo behinderte Menschen diskriminiert werden.

Bei meiner ersten Parlamentsrede habe ich einen kleinen Gebärdensprachkurs für meine KollegInnen durchgeführt, um Interesse für diese Sprache zu wecken und Bewusstsein über deren Bedeutung für gehörlose Menschen zu schaffen. Das hat sich positiv auf die Meinungsbildung über die Gebärdensprache und deren Anerkennung ausgewirkt.

Und auch beim Berufsausbildungsgesetz konnte ich deutliche Spuren hinterlassen. Es war mir wichtig sicher zu stellen, dass Jugendliche mit Behinderung auch Zugang zur Berufsschule haben, und dass die Ausbildung darauf ausgelegt ist, dass sie für die Integration am ersten Arbeitsmarkt bestens vorbereitet werden.

Freak Radio: Was soll dieses Gleichstellungsgesetz umfassen und wann wird es kommen?

Franz-Joseph Huainigg: Ziel ist es, dass es noch in diesem Herbst einen Gesetzesentwurf gibt. Lieber ist mir aber ein Gesetz in guter Qualität, als dass noch schnell im Jahr der Menschen mit Behinderung ein Gesetz verabschiedet wird.

Inhaltlich muss auf jeden Fall Barrierefreiheit in einem umfassenden Verständnis verankert sein, einerseits in öffentlichen Gebäuden oder in Wohnanlagen – auch mit den Bundesländern sind in dieser Frage 15 a Vereinbarungen zu verhandeln. Es ist sinnlos, alles immer im Nachhinein und das zu weit höheren Kosten umzubauen. Das betrifft viele, wenn sie älter werden und einen Lift brauchen oder wenn sie den Kinderwagen transportieren müssen. Barrierefreies Bauen ist menschengerechtes Bauen!

Der zweite Bereich ist der öffentliche Verkehr: Auch dieser muss barrierefrei zugänglich sein. Wenn neue Anlagen errichtet, neue U-Bahnen, Autobusse, Straßen- und Eisenbahngarnituren gekauft werden, muss deren Tauglichkeit für RollstuhlfahrerInnen gesichert sein. Auch muss es in den Anlagen und Liften Blindenleitsysteme geben und die Beschriftung auch für blinde und sehbehinderte Menschen nutzbar sein, damit sie sich orientieren können.

Ich sehe es als ein wichtiges Anliegen des Gleichstellungsgesetzes, dass berufliche Zugänge für behinderte Menschen geschaffen werden: Hier gibt es sehr viele Barrieren. Man muss den behinderten Menschen mehr zutrauen, sodass sie JournalistInnen, RichterInnen oder auch LehrerInnen werden können!

Es gibt allerdings noch immer einschlägige Gesetze, die das sogar verhindern: Etwa wenn die körperliche Eignung die Voraussetzung zum Richterberuf ist, was gegen behinderte Menschen ausgelegt wird. Oder wer die pädagogische Akademie besuchen möchte, der darf das mit Behinderung nicht, weil auch hier körperliche Eignung vorausgesetzt wird. Ich glaube, dass das völlig überholt ist und dass jene gehörlose junge Frau in Linz, die Lehrerin werden möchte, als ordentliche Studentin aufzunehmen ist. Das muss das Gesetz garantieren.

Freak Radio: Soll es eigentlich Sanktionen geben?

Franz-Joseph Huainigg: Wie das Recht am besten durchzusetzen ist, muss man juristisch prüfen. In Deutschland gibt es beispielsweise die Verbandsklage: Wenn es immer wieder Probleme gibt, dann kann ein anerkannter Verband klagen. Die Für und Wider einer solchen Regelung sollten auch bei uns diskutiert werden.

Freak Radio: Individuell wäre das dann aber nicht möglich, dass etwa eine Lehrerin, die nicht angestellt wird, von sich aus klagen kann – so wie in Amerika?

Franz-Joseph Huainigg: Das ist der zweite Aspekt. Im Gleichbehandlungsgesetz zur Bekämpfung von ethischen, religiösen, altersbedingten, etc. Diskriminierungen – die Begutachtungsfrist ist ja vor kurzem abgelaufen – ist ein solches Einzelklagsrecht vorgesehen. Ich denke, das oder Ähnliches sollten wir auch für das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz übernehmen. Aber Details müssen in der Expertengruppe ausgearbeitet werden.

Freak Radio: Im Bereich von Assistenz und Pflege hat es in den letzten Jahren eine enorme Preisentwicklung gegeben: Allein im Jahr 2002 betrug die Inflationsrate laut statistischem Zentralamt in diesem Bereich 40%. Das dafür zuständige Pflegegeld hingegen ist nicht erhöht worden. Sie haben sich zwar dafür eingesetzt, haben sich aber, so wie der Sozialminister, nicht durchsetzen können. Ist damit die Erhöhung des Pflegegeldes jetzt endgültig passé?

Franz-Joseph Huainigg: Das Pflegegeld muss valorisiert werden, und dafür setze ich mich ein. Ich habe das in der Vergangenheit gemacht und ich werde es auch in Zukunft tun, und ich hoffe, es gelingt noch in dieser Legislaturperiode, das Pflegegeld zu valorisieren.

Ich habe außerdem im ersten Halbjahr zu einer Diskussionsrunde eingeladen, bei der ich VertreterInnen der Selbstbestimmt Leben Bewegung und der großen Wohlfahrtsverbände als Anbieter der Dienste an einen Tisch gebracht habe. Diese Diskussion war sehr spannend. Einheitlicher Tenor war, dass eine Valorisierung des Pflegegeldes kommen muss, aber auch dass an einer Weiterentwicklung des Pflegegeldes gearbeitet werden muss. So beispielsweise sollte eine offene Pflegestufe für Personen mit außerordentlichem Pflegebedarf erarbeitet werden.

Freak Radio: Glauben Sie, dass Sie sich da bei Ihren Kollegen in der eigenen Fraktion und beim Koalitionspartner durchsetzen werden können?

Franz-Joseph Huainigg: Nun, man muss meinungsbildend tätig sein und argumentieren. Ich denke, gerade wenn man sieht, dass auch viele junge Menschen in Altersheimen sitzen und dort ihr Leben fristen, dann ist das wirklich entwürdigend! Das gehört abgeschafft und das wird auch jeder einsehen.

Freak Radio: Halten Sie es für möglich, dass man strukturell mehr von Pflege hin zur Assistenz kommt, also dass die Menschen mit Behinderungen selbständiger werden können, auch Berufe ergreifen können?

Franz-Joseph Huainigg: Das ist zum Teil derzeit ja nicht leicht möglich. Wir sollten tatsächlich über eine Assistenz-Sicherung nachdenken! Persönliche Assistenz ermöglicht gerade auch jungen behinderten Menschen, dass sie ins Erwerbsleben einsteigen können. Dann bekommen sie in ihrem persönlichen Umfeld – so wie ich – jene Unterstützung, die sie auch für die Arbeit brauchen: etwa Hilfe beim Anziehen, Ausziehen, beim Waschen, Begleitung zur Arbeit bis hin zur Assistenz auch am Arbeitsplatz. Es gibt dagegen große Vorbehalte, weil man unendlich hohe Kosten angesichts der demographischen Entwicklung befürchtet. Ich habe daher vorgeschlagen, als ersten Schritt verschiedene Modelle zu erproben und begleitend dazu eine Evaluierung durch zu führen. Das böte auch die Möglichkeit, viele offene Fragen in diesem Zusammenhang zu erörtern.

Freak Radio: Welche Pläne haben Sie persönlich noch für die restliche Legislaturperiode: Was wollen Sie noch durchsetzen?

Franz-Joseph Huainigg: Da habe ich viel vor: Wichtig ist wirklich, dass das Gleichstellungsgesetz kommt – in guter Qualität; dann die Anerkennung der Gebärdensprache, auch die Öffnung des Medienbereichs und des Internets für behinderte Menschen und ganz wichtig die Integration im Beruf; denn die Beseitigung der hohen Arbeitslosigkeit von behinderten Menschen ist ein ganz wichtiges politisches Ziel!

Freak Radio: Danke für das Gespräch.

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