Herr Groll auf Reisen: Klagenfurt 2013 oder es hat sich nichts geändert

Herr Groll und sein Dozent diskutieren über die Bockelmann-Ausstellung in Klagefurt, die für behinderte Menschen nicht zugänglich ist; Anmerkung der Redaktion

Tafel Klagenfurt
BilderBox.com

Nach einem Ritt mit dem Mountain Bike auf den Bisamberg kehrte der Dozent beim Binder-Heurigen am Jedlersdorfer Platzl zu einer Jause ein.

„Freund Groll!“ rief er überrascht und setzte sich.

„Guten Tag, verehrter Dozent“, sagte Groll mit leiser Stimme. Er lächelte nicht. Vor ihm stand ein leeres Glas.

„Was ist geschehen? Ich wähnte Sie in Klagenfurt, Sie sind doch erst vor drei Tagen dorthin aufgebrochen!“

Mit einer knappen Handbewegung gab Groll eine Bestellung auf. „Mir ist etwas Fürchterliches widerfahren, und zwar mit der Kultur. Da dachte ich, es ist besser, ich kuriere mich hier beim Binder-Heurigen aus.“

„Ja, mit der Kultur soll man nicht spaßen. Da kann man sich übel zurichten. Hatten Sie einen Unfall?“

„Man könnte es so nennen.“

„Wo sind Sie denn verletzt?“

„In meiner Seele.“

„Wenn Sie die Seele bemühen, muss es sich um eine große Sache handeln. Erzählen Sie!“ Der Dozent entledigte sich seines verschwitzten Renntrikots. Dann bestellte er saure Wurst und Weißwein.

Groll erzählte: „Es gibt in Klagenfurt eine Galerie nahe des Doms und der City Arkaden, einem Einkaufszentrum, das auf dem Gelände einer ehemaligen Schuhfabrik errichtet wurde und daran schuld ist, dass Dutzende Innenstadtgeschäfte in Konkurs gingen. Aber die Besitzerfamilie hat sich eine goldene Nase verdient. Und dass ÖVP und FPÖ, die den Coup politisch umsetzten, nicht leer ausgingen, ist ein böses Gerücht.“

„So ist der Lauf der Welt nicht nur in Klagenfurt.“

„Des weiteren konstatierte ich fehlende Abschrägungen der Gehsteige, viel zu wenig Behindertenparkplätze, gar keine Hotels mit behindertengerechten Zimmern und keine benutzbaren Toiletten.“

„Auch das ist in Österreich nicht neu“, erwiderte der Dozent und nahm einen Schluck.

„Besser ist die Lage in der Stadtgalerie hinter dem Dom“, fuhr Groll fort. „Da gibt es zwar keinen Behindertenparkplatz, aber ein Lift führt in den ersten Stock, wo sich der große Ausstellungsraum befindet. Und es gibt ein taugliches WC.“

„Der Befund lautet also: Eingeschränkt barrierefrei.“

Groll nickte. „Und seit 2007 gibt es einen „Living Studio“ genannten Annex, in dem experimentelle Arbeiten gezeigt werden. Der Annex weist eine Besonderheit auf, ich komme gleich darauf zu sprechen.“

Jetzt nickte der Dozent. Groll bekam den Wein, er nahm einen großen Schluck.

„Es begab sich nun, dass Manfred Bockelmann, der bekannte Maler und Fotograf – und Bruder von Udo Jürgens – auf das Schicksal von 130 behinderten Kindern aufmerksam wurde, die in der NS-Zeit in der Psychiatrie des Klagenfurter Landeskrankenhauses ermordet wurden; ein Teil der Kinder wurde auch ins Schloss Hartheim bei Linz verfrachtet und dort vergast.“

Der Dozent schob das Essen von sich.

„Nun waren die Nazi auch Bürokraten, sie zeichneten alles auf. Man kennt daher die Namen der Kinder, und es gibt Fotos. Der Maler hat nun jedem Kind eine große Porträtzeichnung gewidmet, die Ermordeten haben nun ein Gesicht.“

„Gut.“ Der Dozent atmete schwer.

„Es muss eine großartige Ausstellung sein“, sagte Groll. „Ich wollte zur abendlichen Eröffnung, rief aber mittags, durch viele Enttäuschungen gewitzt, in der Galerie an.“ Groll nahm einen weiteren Schluck.

„Und? So reden Sie doch!“ Der Dozent beugte sich nach vor.

„Wollen Sie es wirklich hören?“

Der Dozent nickte heftig.

„Ich sei Rollstuhlfahrer“, sagte ich.

„Kein Problem“, sagte ein Mitarbeiter. „Es seien da leider sechs Stufen, man trage mich aber hinauf.“

„Das darf nicht wahr sein!“ Der Dozent schlug auf den Tisch. Der Wein spritzte auf Grolls Hemd. 

„Das dachte ich auch“, sagte Groll ruhig.

„Ich weiß, was jetzt kommt.“

„Der Mann bekam, mit Sigi Maron zu sprechen, einen klassischen Gesamteindruck von mir.“

Der Dozent schüttelte den Kopf.

„Da gibt es eine Ausstellung über ermordete behinderte Kinder, behinderte Menschen der Gegenwart haben aber keine Chance, sie zu besuchen. Es war in Klagenfurt, am dritten Dezember 2013, dem Tag, der weltweit als ´Tag der behinderten Menschen` begangen wird, als das so war.“

Der Dozent war fassungslos. Groll starrte vor sich hin.

Siehe auch Presseaussendung von Selbstbestimmt Leben Kärnten

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