Gesetzesänderung verschlafen? – Justizministerium bitte aufwachen!

Mit Verwunderung erfuhr ich von einem Schreiben des Justizministeriums, in dem behauptet wird, dass blinde Personen in Österreich nicht das Richteramt ausüben können. Ein Kommentar.

Blinde Richter unmöglich -  Justizministeriums 25.10.11
ORF

In der „Zeit im Bild 2“ vom 25. Oktober 2011 lief ein Beitrag unter dem Titel „Blinde Juristin“ in dem von der frischgebackenen blinden Magistra Susanne Sulzbacher berichtet wurde – (siehe auch Presse-Bericht).

Zu meiner Überraschung gab es eine schriftliche Stellungnahme des Justizministeriums, die im ORF-Beitrag gezeigt wurde. Dort heißt es:

Information des Bundesministeriums für Justiz

„Es ist der Justiz ein Anliegen, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um auch Menschen mit Behinderungen die Ausübung des angestrebten Berufes zu ermöglichen. Für das Richteramt gelten aber verfassungsrechtliche und prozessuale Vorschriften, die verlangen, dass der Richter/die Richterin die uneingeschränkte Fähigkeit zu eigenen Wahrnehmung auch in optischer Hinsicht aufweist. Das heißt, es ist unumgänglich, dass der Richter/die Richterin, der/die in der Sache entscheidet, sämtliche Beweismittel unmittelbar, mit allen Sinnen wahrnehmen und verarbeiten kann. Aus diesen Gründen ist es in Österreich blinden Personen daher nicht möglich, das Richteramt auszuüben.“

Konkret wird weiters in dem Schreiben auf § 2 Abs 1 Z 2 und 3 des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz verwiesen.

Gesetzesänderung verschlafen?

Die Begründung des Ministeriums hat in keinster Weise berücksichtigt, dass im Jahr 2006 im Rahmen des Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetzes EXAKT dieses Problem beseitigt wurde.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Diskussionen, ob blinde Menschen das Richteramt einnehmen können. Geführt wurde die Diskussion immer wegen einer angeblichen fehlenden „körperlichen Eignung“.

Der Gesetzgeber hat deswegen – im BGBl. I Nr. 90/2006 – das Richterdienstgesetz unmissverständlich geändert. Im § 2 Abs 1 Z 3 wurde die Wortfolge „persönliche, geistige und fachliche Eignung sowie die körperliche Eignung für den Richterberuf“ durch „persönliche und fachliche Eignung für die mit der Ausübung des richterlichen Amtes verbundenen Aufgaben“ ersetzt.

„Die körperliche Eignung wird aus allen Dienstrechten gestrichen und damit soll es auch möglich sein, dass zum Beispiel ein blinder Mensch Richter wird oder ein gehörloser Mensch Lehrer oder auch ein blinder oder ein Rollstuhl fahrender Mensch den Beruf eines Lehrers ausübt. Das war bis vor kurzem noch undenkbar. Ich glaube, dass damit ein ganz wichtiger Schritt gesetzt wird“, hielt der ÖVP-Behindertensprecher, Dr. Franz-Joseph Huainigg, bei der Beschlussfassung im Parlament fest.

Berger: „Es ist also klargestellt“

Die damalige Justizministerin, Dr. Maria Berger, nahm bei einer diesbezüglichen Diskussion im Jahr 2007 in einem BIZEPS-INFO Interview zur Frage, ob blinde Menschen das Richteramt ausüben können, unmissverständlich Stellung: „Letztes Jahr wurde durch das Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetz eine Änderung herbeigeführt. Die entscheidende Bestimmung stellt seither nur mehr auf die ‚uneingeschränkte persönliche und fachliche Eignung‘ ab, nicht mehr auf die ‚uneingeschränkte körperliche Eignung‘. Es ist also klargestellt, dass auch Menschen mit Sehbehinderung gleichberechtigt Zugang zum Richterberuf finden sollen.“

Auf die Nachfrage, warum das dann noch immer thematisiert wird, antwortete sie: „In Sachen Behindertengleichstellung dürften die in den letzten zehn Jahren geschaffenen Gesetze in der Justiz zu wenig diskutiert worden sein.“

Zur Erinnerung: Die Gesetzesänderung erfolgte im Jahr 2006, das Interview mit Justizministerin Berger im Jahr 2007. Heute – im Jahr 2011 – verbreitet das Justizministerium noch immer Falschinformationen.

Mir fällt dazu nur mehr ein: „Gesetzesänderung verschlafen? – Justizministerium bitte aufwachen!“

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