Für Behinderte nachteilige Gesetzesbestimmungen werden eliminiert

Verfassungsausschuss für die Zulassung von Blinden als Trauzeugen

Parlament
BIZEPS

Aus einer Reihe von Gesetzen werden Bestimmungen eliminiert, die Menschen mit Behinderungen benachteiligen. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Verfassungsausschuss des Nationalrates heute einstimmig auf Basis eines Initiativantrages der beiden Koalitionsparteien.

Konkret geht es dabei etwa um den verbesserten Zugang zu Schriftstücken für sehbehinderte oder blinde Personen im Rahmen der Akteneinsicht, den barriererefreien Zugang zu öffentlichen Verhandlungen bei Verwaltungsverfahren oder um die kostenlose Beiziehung von Gehörlosendolmetschern in Finanzstrafverfahren.

Ausserdem werden als diskriminierend erachtete Ausdrücke durch zeitgemässere Formulierungen ersetzt. Zu diesen Zwecken werden das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz, das Arbeiterkammergesetz, die Allgemeine Bergpolizeiverordnung, die Bundesabgabenordnung, das Finanzstrafgesetz, die Abgabenexekutionsordnung, das ABGB, das Gerichtsorganisationsgesetz und die Strafprozessordnung geändert.

Darüber hinaus sprach sich der Verfassungsausschuss dafür aus, dass bei Eheschliessungen wenigstens ein Trauzeuge auch eine blinde Person sein kann. Auf Basis eines SP-VP-Entschliessungsantrages ersuchen die Abgeordneten den Innenminister einstimmig, die Personenstandsverordnung in diesem Sinn abzuändern.

Und auch in einem zweiten Punkt wendet sich der Ausschuss an die Regierung. Sie soll dafür sorgen, dass alle Verständigungen über die Hinterlegung von Schriftstücken so gestaltet werden, dass sehbehinderte und blinde Personen die Möglichkeit haben, „die behördliche Natur des Schriftstücks zu erkennen“. Darüber hinaus soll geprüft werden, ob sehbehinderten und blinden Personen bereits bei Einleitung eines gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahrens ein Anspruch auf die Verwendung derartiger Schriftstücke eingeräumt werden kann.

Ein erster Entwurf, der die Ausarbeitung eines tastbaren Symbols für alle behördlichen Schriftstücke und Verständigungen vorgesehen hätte, wurde aus Kostengründen wieder verworfen.

Der Gesetzentwurf und die beiden Entschliessungsanträge sind Folge einer Durchforstung der österreichischen Rechtsordnung nach behindertenbenachteiligenden Bestimmungen durch eine Arbeitsgruppe, die von der Regierung auf Wunsch des Nationalrates eingesetzt wurde.

Wie aus den Berichten der vier Unterarbeitsgruppen – Rechtsschutz; Beschäftigung, Altersvorsorge, Gesundheit; Bildung, Erziehung, Kultur; Mobilität, Verkehr, Wohnen – hervorgeht, herrschte in der Arbeitsgruppe hinsichtlich mancher Gesetzesbestimmungen Einigkeit über einen Novellierungsbedarf, in anderen Bereichen gab es jedoch zum Teil erhebliche Divergenzen zwischen den Standpunkten des jeweils zuständigen Bundesministeriums und der Behindertenverbände.

In den Erläuterungen zum heute beschlossenen Gesetzentwurf wird demnach auch festgehalten, dass dieser nur ein Schritt zum Abbau der Benachteiligung von Behinderten sein könne und in Zukunft noch grosse Anstrengungen nötig seien, eine tatsächliche Gleichstellung von Behinderten zu gewährleisten.

Bereits Mitte 1997 wurde die österreichische Verfassung um ein ausdrückliches Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen erweitert und eine Art Staatszielbestimmung festgeschrieben: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten“, heisst es nun im Artikel 7 B-VG.

Auf diese Verfassungsbestimmung berufen sich die Grünen und die Liberalen in ihren Anträgen, die mit dem Gesetzesvorschlag der Koaltionsparteien mitdiskutiert wurden. Die Grünen monieren, dass die Verfassungsbestimmung real keine Verbesserung der Situation behinderter Menschen gebracht habe und fordern die Regierung daher auf, ein eigenes Behindertengleichstellungsgesetz zu konzipieren.

Ein solches „Allgemeines Gesetz für die Gleichstellung behinderter Menschen“ haben die Liberalen bereits ausgearbeitet. Ziel des von ihnen vorgelegten Entwurfes ist es, eine Diskrimininierung von Behinderten im alltäglichen Leben hintanzuhalten, wobei die Bereiche „gesetzlich geregelte Verfahren“, „Bildungseinrichtungen“, „Verkehr“, „Gebäude“ und „Beruf“ dezidiert angesprochen werden.

So sollen beispielsweise öffentlich benützbare Verkehrseinrichtungen so gestaltet werden, dass ihre Benützung behinderten Menschen in gleicher Weise wie Nichtbehinderten möglich ist. Bauwerke, die zur öffentlichen Benützung bestimmt sind, sowie Arbeitsstätten hätten barrierefrei zugänglich zu sein.

Abgeordnete Haidlmayr (GRÜNE) äusserte massive Kritik daran, dass sich die Länder nicht an der Durchforstung der österreichischen Rechtsordnung nach behindertenbenachteiligenden Bestimmungen beteiligt haben. Zudem warf sie den beiden Koalitionsparteien vor, nur solche Gesetzesänderungen vorzunehmen, die nichts kosten.

Deshalb sei auch der Vorschlag, ein tastbares Symbol für alle behördlichen Schriftstücke zu entwerfen, gefallen. Nach Ansicht von Haidlmayr ist die Ausarbeitung eines bundeseinheitlichen Antidiskriminierungsgesetzes unumgänglich, es genügt ihrer Meinung nicht, kleine Gesetzesreparaturen zu machen.

Skeptisch zeigte sich auch Abgeordnete Dr. Partik-Pable (FPÖ). Sie glaubt, dass die vorgesehenen Änderungen in der Praxis keine wesentlichen Verbesserungen für die Behinderten bringen werden, an deren eingeschränkter Teilnahmemöglichkeit am gesellschaftlichen Leben werde sich nichts ändern. Dass die Länder in ihrem Bereich keine Durchforstung der Rechtsordnung vorgenommen haben, bedauerte Partik-Pable auch insofern, als Behindertenangelegenheiten zum grössten Teil Ländersache sind.

Abgeordnete Rauch-Kallat (ÖVP) gab zu bedenken, dass eine sprachliche Adaptierung von Gesetzen nicht zuletzt für die Bewusstseinsbildung wichtig sei. Sie wies zudem auf die in den letzten Jahren vorgenommenen Verbesserungen für Behinderte wie die Entwicklung von Stimmzettelschablonen bei Nationalratswahlen hin.

Sämtliche behördliche Schriftstücke mit einem tastbaren Symbol zu versehen, bringt nach Auffassung von Rauch-Kallat nichts, da der behördliche Charakter dieser Schriftstücke schon dadurch zu erkennen sei, dass die Zustellung in Form eingeschriebener Briefe erfolge. Bei den im Briefkasten hinterlegten Verständigungen sei eine besondere Kennzeichnung aber wichtig, da sie leicht mit einem Flugblatt zu verwechseln seien.

Abgeordneter Dr. Kier (LIF) führte aus, im Rahmen der Tätigkeit der Arbeitsgruppe sei deutlich geworden, dass in vielen Fällen nicht die Gesetzestexte selbst zu einer Benachteiligung von Behinderten führten, sondern der Vollzug der Bestimmungen. Deshalb hält er ein allgemeines Gesetz, das die Diskriminierung von Behinderten verbietet, für wichtig. Zudem vermisst der Abgeordnete hinsichtlich der Durchforstung der Rechtsordnung vergleichbare Aktivitäten der Bundesländer.

Bei der Abstimmung wurde der Initiativantrag der Koalitionsparteien unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrages, der weitere sprachliche Adaptierungen von Gesetzen enthält, einstimmig beschlossen. Ebenfalls Einstimmigkeit erzielte der Entschliessungsantrag zur Personenstandsverordnung, dem Entschliessungsantrag betreffend Kenntlichmachung von Verständigungen über behördliche Schriftstücke stimmten SPÖ, ÖVP, Freiheitliche und Liberale zu.

Der Entwurf der Liberalen eines „Allgemeinen Gesetzes für die Gleichstellung behinderter Menschen“ wurde von der Ausschussmehrheit abgelehnt. Vertagt wurden die Beratungen über den Entschliessungsantrag der Grünen, der auf die Konzeption eines Behindertengleichstellungsgesetzes durch die Bundesregierung abzielt, und über die ursprüngliche Fassung des ÖVP-SPÖ-Antrags zur Kenntlichmachung behördlicher Schriftstücke.

Der Bericht über die Durchforstung der österreichischen Bundesrechtsordnung nach behindertenbenachteiligenden Bestimmungen wurde einstimmig zur Kenntnis genommen.

Bericht über Massnahmen zugunsten der Gehörlosen und Schwerhörenden
Weiters im Ausschuss zur Diskussion stand ein Bericht der Regierung über Massnahmen zugunsten der Gehörlosen und Schwerhörenden, der von den Abgeordneten gleichfalls einstimmig zur Kenntnis genommen wurde.

Ihm ist zu entnehmen, dass das Sozialministerium in Zusammenarbeit mit den Bundessozialämtern verschiedene Hilfsmittel fördert, um den Betroffenen eine maximale Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz zu ermöglichen, sie bei der Lebensbewältigung im privaten Bereich zu unterstützen und ihnen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu erleichtern.

So erhält diese Zielgruppe u.a. Unterstützungen für Schreib- bzw. Bildtelefone, Faxgeräte, Telefon- und Klingelsender, Vibrationsuhren, Hörverstärker, Induktionsanlagen für Handys, Movie-Text-Decoder und Vibrationsakkus.

Der ORF bietet Hörbehinderten dem Bericht zufolge pro Monat zwischen 150 und 160 TV-Stunden mit Teletext-Untertiteln an.

Verfassungsdienst soll Gutachten zu Bioethik-Konvention erstellen
Wieder aufgenommen wurden die Beratungen über einen Entschliessungsantrag der Grünen betreffend Überprüfung der Verfassungskonformität der Bioethik-Konvention des Europarates.

Die Grünen bezweifeln, dass alle Bestimmungen der Konvention der Menschenwürde entsprechen, wobei sie insbesondere auf die fremdnützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen und die Entnahme von Organen und Gewebe von nichteinwilligungsfähigen Menschen verweisen.

Da alle fünf Fraktionen eine Überprüfung dieser Frage für sinnvoll hielten, wurde schliesslich einstimmig ein Fünf-Parteien-Abänderungsantrag angenommen, der eine Überprüfung bis zum 31.12.1999 vorsieht.

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