Folge 9: „Rollstuhlfahrer ab ins Besenkammerl?“

Rollend, rasant und rabiat durch Wien und den Rest der Welt

Symbolbild: Ronja Rollerbraut

Über die Zumutbarkeit von Behinderung und die Unerträglichkeit von Dummheit und Ignoranz.

Erster Akt

Thomas und seine Freundin Sonja freuen sich auf ihren Urlaub in einem Hotel in einer bekannten österreichischen Ferienregion. Sie haben lange nach einer passenden Unterkunft gesucht: einem barrierefreien Hotel, in dem sie als Rollstuhlfahrer unbehindert Zimmer, Dusche, WC, Restaurant und andere Räumlichkeiten benützen können. Die Anreise und Ankunft im Hotel klappt tadellos.

Thomas und Sonja beschließen, am ersten Abend im hoteleigenen Restaurant zu speisen. Mit dem Service und der Küche sind beide hoch zufrieden. Ein richtig guter Start in die wohlverdiente Urlaubswoche. Doch bereits am ersten Abend nehmen beide erste missbilligende Blicke vom Nachbartisch wahr.

Nach dem Essen möchten Thomas und Sonja auf der Terrasse den Abend ausklingen lassen. Als sie nach draußen fahren, verstummen plötzlich die Gespräche der anderen Feriengäste. Mitleidige und verachtende Blicke werden ihnen zugeworfen. Einige Gäste verlassen sogar die Terrasse. Darüber sind Thomas und Sonja vorerst gar nicht so unglücklich, denn etwas Ruhe und Abgeschiedenheit kommt ihnen ohnehin gelegen.

Doch als Thomas am nächsten Tag unfreiwillig ein Gespräch zwischen einem Hotelgast und einem Angestellten bei der Rezeption mitbekommt, vergeht ihm gründlich seine anfängliche Freude über den Aufenthalt in diesem Hotel. Da beschwert sich tatsächlich ein Gast darüber, dass er nun beim Frühstücksbuffet bzw. im Restaurant beim Anblick von zwei Personen im Rollstuhl mit dem „traurigen“ Thema „Behinderung“ konfrontiert werde. Er habe doch wenigstens im Urlaub ein „Recht“ auf die schönen Seiten des Lebens.

Zweiter Akt

Petra ist 35 Jahre alt, seit einigen Jahren an Multipler Sklerose erkrankt und kann sich – im Rollstuhl sitzend – nur noch ganz langsam selbst fortbewegen. Doch trotz zahlreicher schwerer Schübe – keine Therapie schlug an, hat sie ihre Lebenslust voll und ganz behalten.

Durch die Erkrankung hat Petra sehr stark abgenommen. Aus der vormals pummeligen Jugendlichen, die mit ihren roten Pausbacken immer einen sehr „gesunden“ und vitalen Eindruck gemacht hat, ist eine von der Krankheit gezeichnete, untergewichtige Frau geworden.

Diesen Wandel hat Petra jedoch als Lebensumstand akzeptiert. Leben ist Veränderung. Trotzdem kann sie sich an den vielen schönen Seiten des Lebens erfreuen. Doch ihre Angehörigen, insbesondere ihre Mutter, sehen das ganz anders. In ihrem Weltbild ist Krankheit/Behinderung ein Makel, ein schlimmer Schicksalsschlag, ein Umstand, den man lieber schnell unter den Teppich kehrt.

Gerade vor den „lieben“ Verwandten. Beschönigen, Ausreden, Verstecken, Verleugnen. Man kann doch der 85jährigen Großmutter (Anm. eine für ihr Alter ziemlich vitale Frau) den Anblick der veränderten, abgemagerten Enkelin nicht zumuten. Und dann gibt es vielleicht Gerede und Gerüchte, Scham, Schmach und Schande.

Dritter Akt

Gudrun und Simone arbeiten gemeinsam in einem Büro. Arbeitsstress pur, erst am Nachmittag wird es etwas ruhiger und die beiden Kolleginnen gönnen sich eine Kaffee-Pause. Sie reden über ihre Arbeit bzw. die Kunden und Kundinnen ihrer Firma und kommen dabei ins „Philosophieren“ und Grübeln.

Knapper werdende zeitliche und finanzielle Ressourcen, gepaart mit Einsparungen, Erhöhung des Arbeitsdruckes und dem Kommando „effizienteres“ Arbeiten belasten nicht nur diese beiden Mitarbeiterinnen, sondern das ganze Team.

Plötzlich meint Gudrun: „Also, ich sehe ja im Arbeitsalltag so viel. Und ich muss dir gestehen: Ich würde mir für den Fall, dass ich schwer erkranke oder die Gefahr besteht, dass ich eine schwere Behinderung bekäme, das Ganze nicht geben. Lieber noch einen schönen Abend machen, vielleicht bei einem Glas Rotwein und dann …“ Simone schweigt, denn sie ist über diese Aussage fassungslos.

Anmerkung eins: Simone ist selbst behindert. Sie sitzt seit einem Autounfall im Rollstuhl, kann jedoch noch in Teilzeit am Berufsleben teilnehmen.

Anmerkung zwei: Die „Kunden und Kundinnen“ dieser Firma sind übrigens benachteiligte Menschen.

AN EUCH „NORMALOS“!

Hört gut zu, ihr lieben Verwandten, ihr angeblichen Freunde, ihr Wirtschaftsbosse, ihr Arbeitskollegen und -kolleginnen, ihr Arbeitgeber und -geberinnen, ihr soziale „Professionisten“, ihr Ärzte, ihr Menschen ohne Behinderung:

Eine Behinderung ist noch lange kein Grund, die Welt in schwarz zu sehen. Wir haben gelernt, mit einer Behinderung oder Erkrankung zu leben. Wir haben dadurch auch viele bereichernde Erfahrungen gemacht, haben dadurch innere Stärken entdeckt und Überlebensstrategien entwickelt.

Ich sage euch: Behinderung bzw. der Kontakt mit behinderten Menschen kann auch für euch eine Bereicherung sein. Ihr könnt auch von uns so einiges lernen. Das Leben ist bunt. Und Behinderung ist eine von vielen Farben.

Behinderung ist zumutbar, weil es einfach zum Mensch-Sein gehört. Unerträglich ist vielmehr eure Dummheit, Engstirnigkeit, Überheblichkeit und Ignoranz!

Rollstuhlfahrer und -fahrerinnen, Menschen mit Sehbehinderung, gebärdende Menschen, Menschen mit Downsyndrom, Menschen mit Lernbehinderung, Menschen, die nonverbal kommunizieren, alle Menschen egal mit welcher Behinderung haben ein LEBENSRECHT.

Sie brauchen und dürfen nicht (wieder) versteckt, verheimlicht, verfolgt und tagtäglich benachteiligt und diskriminiert werden. Sie haben genauso ein Recht auf Lebensqualität, auf Teilhabe, auf Chancengleichheit. Über Inklusion zu reden, zu schreiben, sich damit zu „schmücken“, ist nicht genug. Inklusion muss vor allem umgesetzt und gelebt werden.

Inklusion hier und heute!
Inklusion bei dir, bei mir, bei uns!

Deshalb: „Behinderte Menschen in die Mitte der Gesellschaft“ und Dummheit und Ignoranz ins Besenkammerl!

Bis bald, eure Ronja.

Schlussbemerkung: Es gibt natürlich auch einige nette „Normalos“ und einige engstirnige Menschen mit Behinderung.

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