Feuerstein: „Den Kern der grünen Gesinnung aufzugeben wäre ein schwerer Fehler“

Nachdem die Abgeordnete der Grünen, Theresia Haidlmayr, am 31. Juli 2008, der Öffentlichkeit mitgeteilt hat, nicht mehr zu kandidieren, wurde plötzlich folgende Frage virulent: Werden die Grünen keine selbstbetroffenen Abgeordneten mehr haben?

Bernadette Feuerstein
Bernadette Feuerstein

„Selbstverständlich ist es für die Grünen ein wichtiges Anliegen, dass ExpertInnen in eigener Sache in ihren Reihen im Nationalrat vertreten sind“, hielt der Bundessprecher der Grünen, Prof. Alexander Van der Bellen, in einem BIZEPS-INFO Interview fest.

Wie bekannt wurde, wird sich u. a. die Wienerin Mag. Bernadette Feuerstein um einen Platz auf der Bundesliste der Grünen bewerben. Die Rollstuhlfahrerin hat eine sechsjährige Tochter und ist Mitglied der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung.

BIZEPS-INFO: Was motivierte dich zu kandidieren?

Bernadette Feuerstein: Ich bin seit 30 Jahren behindertenpolitisch tätig und habe gemeinsam mit der Behindertenbewegung viel erreicht. Als Konsumentenschützerin bin ich seit beinahe 20 Jahren im Ministerium tätig und weiß, was bundesweite Regelungen für die BürgerInnen bedeuten. Trotz der Erfolge gibt es im Bereich der Behindertenpolitik noch sehr viel zu tun und ich möchte meine Arbeit auf die bundesweite politische Ebene konzentrieren und bewerbe mich deshalb für den Nationalrat.

BIZEPS-INFO: Was würdest du als Hauptziele deiner Arbeit im Parlament sehen?

Bernadette Feuerstein: Danke für diese gute Frage, ich würde gerne detaillierter darauf antworten, es gibt so viel zu tun, dass ich nicht nur einen Punkt nennen kann. Mein wichtigstes Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe jeder BürgerIn, in allen Bereichen der Gesellschaft unabhängig von einer Behinderung, einer Einschränkung oder auch des Alters.

Ein Schwerpunkt in meiner bisherigen Arbeit liegt in der Verwirklichung eines selbstbestimmten Lebens behinderter Menschen, mit Unterstützung durch Persönliche Assistenz.

Diese Persönliche Assistenz bundesweit, bedarfsgerecht zu vereinheitlichen und einen Rechtsanspruch zu begründen, würde vielen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Daneben müssen auch alle anderen Unterstützungsformen die Selbstbestimmung fördern und diese vor allem durch eine barrierefreie Infrastruktur, Kommunikation oder Ähnliches ermöglichen.

Im Bereich Pflege müssen rasch Modelle zu fairen Bedingungen für beide Seiten – Betroffene und ArbeitnehmerInnen – geschaffen werden. Wir dürfen kein „neues Sklaventum“ als Arbeitsbedingung im Pflegebereich akzeptieren, das keine Qualitätssicherung für die betroffenen Menschen bietet.

Weitere Schwerpunkte, wo ich auch bisher schon zahlreiche Erfolge erzielte, sind Kultur und Kunst, Baukultur, Tourismus und Freizeit, Medien, Verbraucherbildung und die Rolle der Frau. In diesen Bereichen will ich meine Arbeit verstärken und ausweiten.

Das Behindertengleichstellungsgesetz muss gestärkt und mit durchsetzbaren Begleitgesetzen ergänzt werden, um endlich die Chancen von behinderten Menschen in allen Lebensbereichen nachhaltig zu sichern. Alltägliche Diskriminierungen in der Kommunikation, Mobilität, Berufswahl, Architektur oder beim Zugang zur Bildung etc. werden von behinderten und älteren Menschen nicht mehr hingenommen, sondern sind abzubauen.

Ich will, sollte ich Abgeordnete werden, meine gute Vernetzung zu meinen behinderten Kolleginnen und Kollegen nicht verlieren und somit immer den Blick auf die brennenden Probleme haben. Behinderte, beeinträchtigte oder chronisch kranke Menschen sind keine Minderheit, betroffen ist durchschnittlich jeder/jede 6. ÖsterreicherIn.

BIZEPS-INFO: Warst du über den Rückzug von Haidlmayr überrascht?

Bernadette Feuerstein: Wir allen waren, glaube ich, über den Rücktritt von Theresia Haidlmayr sehr überrascht. In unseren persönlichen Gesprächen hatte sie bisher nie darüber geklagt, „schon amtsmüde“ zu sein.

Was da intern vorgefallen ist, ist wohl für Außenstehende schwer zu verstehen. Durch die aktuelle Debatte, die ihr plötzlicher Rückzug hervorgerufen hat, wird leider der Erfolg ihrer Arbeit in den Hintergrund gedrängt. Auch mein Einstieg ist dadurch erschwert und sehr kurzfristig erfolgt.

BIZEPS-INFO: Wie schätzt du deine Chancen ein?

Bernadette Feuerstein: Es ist für mich noch überhaupt nicht abschätzbar, wie am 7. September 2008 beim Bundeskongress der Grünen entschieden wird. Ausschlaggebend wird wohl sein, ob sich die Grünen Delegierten wie bisher dazu bekennen, jene Partei zu sein, die ein soziales Engagement, Menschenrechte und die Chancengleichheit für alle Bevölkerungsgruppen in das Zentrum ihrer Politik stellt, oder ob sie andere politische Schwerpunkte setzen.

Diesen politischen Vorsprung und den Kern der grünen Gesinnung aufzugeben wäre ein schwerer Fehler und nicht wieder aufholbar. Immerhin waren es vor 22 Jahren die Grünen, die mit Manfred Srb den ersten betroffenen Abgeordneten ins Parlament brachten – eine Pioniersleistung, die die österreichische (Behinderten-) Politik nachhaltig veränderte.

BIZEPS-INFO: Warum sollten die Grünen eine behinderte Abgeordnete haben?

Bernadette Feuerstein: Wenn bei den Grünen in der neuen Legislaturperiode keine behinderte Person im Parlament vertreten ist, wären innerhalb kürzester Zeit die großen Erfolge und Errungenschaften meiner VorgängerInnen zunichte gemacht.

Ich möchte die Grünen mit meiner Energie, meinen Erfahrungen und meinem Engagement dabei unterstützen, ihre politische Vorreiterrolle zu bewahren, um gemeinsam eine menschenwürdige Gesellschaft und eine soziale Umverteilung in Österreich zu erreichen.

BIZEPS-INFO: Vielen Dank für das Interview.

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