Eurovision Song Contest 2015: Zwei sehr intensive Wochen liegen hinter mir

Der Eurovision Song Contest 2015 in Wien ist bereits Geschichte. Zwei Wochen, die ich ganz und gar dem Großevent Eurovision Songcontest gewidmet habe.

Impressionen von Karin Ofenbeck beim Song Contest 2015
Ofenbeck, Mag. Karin

Zwei Wochen, in denen ich eine Berg- und Talfahrt der Gefühle erlebt habe.

Kick-Off

Das Erlebnis Songcontest begann für mich mit einem riesigen Geschenk. Head of Volunteers und Presscenter-Managerin Michaela Mild, von uns liebevoll „Mama“ genannt, hatte anscheinend große Hoffnung in uns gesetzt und beschenkte uns mit Unterstützung der zahleichen Sponsoren des Songcontest reichlich.

Ich verstand gar nicht, womit wir diese Vorschusslorbeeren verdient hatten. Als ich all diese Sachen vor mir ausbreitete, konnte ich es kaum glauben, was ich da sah und freute mich riesig auf das, was vor mir lag.

Barrieren im Kopf

Noch am selben Abend gab es dann das erste Aufeinandertreffen aller 800 Volunteers. Ich wurde nervös bei dem Gedanken alleine auf eine Party zu gehen, wo ich niemanden kannte. Wahrscheinlich ging es vielen gleich. Jeder war gezwungen, auf die anderen zuzugehen.

Zwar führte ich einige nette Gespräche an diesem Abend, aber ich spürte auch ganz deutlich die Barrieren im Kopf der anderen. Einige wussten nicht, wie sie aufgrund meiner Behinderung mit mir umgehen sollten. Die Ausdrücke ihrer Gesichter zeigten ihre Unsicherheit.

Sie trauten sich nicht nachfragen, wenn sie mich nicht verstanden oder fragten mich lediglich, ob ich Hilfe brauche. Mir war der Abend nicht sehr angenehm und deshalb verließ ich die Party bald und hoffte, am nächsten Tag bei unserem Kick-Off Event bessere Erfahrungen zu machen.

Einführung für Volunteers im Umgang mit Menschen mit Behinderung

Das Kick-Off Event begann großartig. Motivationstrainer Matthias Jackel, der auch Bayern München coacht, war mit „Drum Cafe“ in die Stadthalle gekommen, um mit uns gemeinsam zu trommeln. Die Energie die diese Trommelübungen freisetzten war unglaublich.

Anschließend wurden wir mit Informationen geradezu bombardiert. Unter anderem waren Elisabeth Löffler und Petra Plicka zu Gast. Sie gaben uns Volunteers einige Tipps im Umgang mit Menschen mit Behinderung.

Wir lernten, wie wir am besten blinde und sehbehinderte Menschen führen. Uns wurde in Erinnerung gerufen, dass wir direkt mit der behinderten Person sprechen sollen und nicht mit der Begleitperson. Außerdem wurden uns einige wichtige Gebärden beigebracht.

Die gewünschte Information, worin denn nun tatsächlich meine Aufgabe im Publikumsservice bestehen würde, bekam ich nicht. Ich erfuhr lediglich, dass meine Einsätze erst in der zweiten Woche stattfinden werden.

Sicherheit geht vor

Nachdem meine Einsätze im Publikumsservice erst in der zweiten Woche begonnen haben, war ich in der ersten Woche als Springerin im Einsatz und freundete mich langsam mit den Sicherheitskontrollen in der Stadthalle an.

Die Stadthalle hatte während des Songcontests einen Sicherheitsstandard wie am Flughafen. Nur akkreditierte Personen durften die Stadthalle betreten. Tagtäglich musste ich eine Tagesakkreditierung für meine Assistentinnen holen.

Ohne diese Akkreditierung war es nicht einmal möglich, ins Volunteer-Center zu kommen. Regenschirme, Flüssigkeiten und sonstige gefährliche Gegenstände verbannte ich während der zwei Wochen aus meiner Tasche, schließlich wollte ich nicht unnötig die Aufmerksamkeit der Securitymitarbeiter auf mich lenken.

Die Tatsache, dass ich Rollstuhlfahrerin war, beschäftigte die Sicherheitsleute dennoch sehr. Mit einer Rollstuhlfahrerin in der Crew hatte wohl niemand gerechnet. Sichtlich überfordert waren die Securitymitarbeiter tagtäglich bei meinem Erscheinen. So wurde immer der Vorgesetzte angefunkt, um abzuklären, wie man mit mir umgehen sollte, da ich ja nicht durch das Drehkreuz passte.

An jedem Tag wurde eine neue Lösung aus dem Hut gezaubert. Manchmal brauchte ich 45 Minuten, um die Sicherheitsschleuse zu passieren. Einmal schickte man mich durch den Presseeingang, ein anderes Mal durch den Seiteneingang beim Creweingang. Ich wurde von A nach B geschickt und von B nach A.

Nach einer Woche platzte mir der Kragen, als ich den einzigen barrierefreien Durchgang mit meiner Akkreditierung plötzlich nicht mehr betreten durfte. Ich bat einen Kollegen mit umfassenden Zugangserlaubnissen, der sogar Personen eskortieren durfte um Hilfe und plötzlich ging alles ganz leicht.

Ich durfte den zuvor erwähnten Durchgang wieder betreten und die Stadthalle über den Publikumseingang betreten, um schnell und barrierefrei zu meinem Arbeitsplatz zu gelangen.

Volunteers für Menschen mit Behinderung

Die Volunteers im Bereich Publikumsservice wurden auf die Bedürfnisse der Menschen mit Behinderung eingeschult.

Einige Volunteers, die einen Button mit Rollstuhlsymbol trugen, waren bei der Schleuse für Rollstuhlfahrer und im Märzpark stationiert und konnten Besuchern kompetent Auskunft darüber geben, wo sich das Rollstuhlfahrerpotest und die rollstuhlgerechten Toiletten in der Stadthalle befinden. Offen wurden wir auch darüber informiert, dass die Toiletten in der Stadthalle nicht der ÖNORM entsprechen.

Leider dürften die Securitymitarbeiter bei der Schleuse für Rollstuhlfahrer nicht speziell eingeschult worden sein, so wurde in sozialen Netzwerken die Kritik geäußert, dass Menschen mit Behinderung von vornherein geduzt wurden oder nur die Begleitperson angesprochen wurde.

Auch habe ich einmal erlebt, dass ein Mitarbeiter einem Besucher anstatt einer guten Show eine gute Besserung wünschte. Ein Mann beschwerte sich über die fehlende Beschilderung zur Eingangsschleuse für Menschen mit Behinderung.

Zwar wurden die notwendigen Informationen im Internet zur Verfügung gestellt, aber wenn man diese nicht gesehen hat oder zufällig von einer eingeschulten Person abgefangen wurde, konnte man schon länger durch den Märzpark irren, um die richtige unter den 26 Eingangsschleusen zu finden.

Mein Einsatzort war am Infopoint und zu gleich Lost & Found im Foyer der Stadthalle. Vor und nach jeder Show teilten wir Fähnchen aus, nahmen Fundgegenstände entgegen und beantworteten Fragen wie: „Wo kann ich Conchita Wurst treffen?“, „Wo ist der Bankomat?“, „Wo finde ich das Gratiswasser?“, „Warum reden die Moderatoren nur Englisch?“.

Während der Shows war es meist sehr ruhig und wir konnten sogar kurz in die Halle gehen, um uns kurze Teile der Shows anzusehen. Interessant war auch immer zu beobachten, wie die Hardcorefans, die man bei jeder Show antreffen konnte, bei Einlass in die Halle stürmten, als ob es um ihr Leben ginge.

Bei den Shows live dabei

Zwei Shows konnte ich in der Stadthalle in voller Länge mitverfolgen. Nachdem mir selbiger Genuss letztes Jahr in Kopenhagen aufgrund einer Erkrankung verwehrt worden war und es so ausgesehen hatte als ob ich nie wieder einen Song Contest miterleben würde, waren die Shows für mich ein sehr besonderes Erlebnis.

Der Songcontest ist irgendwie ein Symbol für meine Genesung geworden. Conchitas „Rise like a Phoenix“ und „You are unstoppable“ haben für mich eine durchaus wichtige Bedeutung bekommen. Da ich die Woche zuvor die Proben im Volunteers-Center und im Pressezentrum mitverfolgen konnte, konnte ich die einzelnen Lieder bei den Shows auch schon fast auswendig mitsingen.

Die Stimmung in der Halle war, vor allem bei den Liveshows, sehr euphorisch. Die Showbühne war gigantisch und hat alles in den Schatten gestellt, das ich bis dahin gesehen habe.

Separation am Rollstuhlfahrerpodest

Das Rollstuhlpodest und die darauf herrschenden Regeln, die von den Stadthallenmitarbeiten strikt eingehalten wurden, erhitzten in den sozialen Netzwerken, zu Recht die Gemüter. Für Rollstuhlfahrer waren 20 Stellplätze auf einem Podest im Stehplatzbereich vorgesehen.

Die Fläche auf dem Podest war in Reihen gegliedert. Damit es so wenig Sichtbehinderungen wie möglich gab, hatte die jeweilige Begleitperson ihren Stehplatz hinter der letzten Reihe der Rollstuhlfahrer. Jeder Rollstuhlfahrer durfte nur eine Begleitperson auf das Podest mitnehmen.

Rollstuhlfahrer konnten also nicht wie andere Personen aus mehreren Preiskategorien wählen. Sie konnten nicht gemeinsam mit ihren Freunden das Konzerterlebnis teilen, weil ihre Begleitpersonen in der letzten Reihe sitzen mussten und man maximal eine Begleitperson mitnehmen durfte, egal ob das Podest nun voll oder halb leer war.

Eine Frau die mit ihrem Mann und ihrem 8-jährigen Kind in die Stadthalle kam, konnte beispielsweis nicht gemeinsam mit ihrer Familie auf das Podest, obwohl es halb leer war. Eine Schülerin, die gemeinsam mit ihrer Klasse angereist war, um das Konzert zu erleben, musste getrennt von den Mitschülern das Konzert ansehen.

Man traut Menschen mit Behinderung anscheinend auch nicht zu, dass sie fähig sind, sich alleine zu organisieren, wie das die Menschen auf den Stehplätzen tun. Ich denke, es ist selbstverständlich, dass kleine Personen vorne sitzen dürfen und größere dahinter Platz nehmen müssen und dass ansonsten die Regel gilt, wer zuerst kommt, bekommt den besten Platz.

Die Umrandung des Rollstuhlfahrerpodests war durchgehend aus Metall und blickdicht. Kleinere Personen konnten also kaum darüber sehen und die Abgrenzung zum anderen Publikum wurde dadurch zusätzlich erhöht. Kleine Kinder konnten zwar bei den Stehplätzen stehen, Rollstuhlfahrer durften das nicht, egal ob die Halle halb leer oder voll war.

Eurovillage am Rathausplatz

Während es für Rollstuhlfahrer in der Halle nur möglich war, die Show von einem Rollstuhlfahrerpotest zu sehen, suchte man im Eurovillage, bis zum Tag der Opening Ceremony, vergeblich nach einem Rollstuhlfahrerpotest.

Bei 25.000 Menschen beim Finale dürfte es für Rollstuhlfahrer durchaus schwierig gewesen sein, einen Blick auf die Bühne oder eine Leinwand zu erhaschen.

„Magic Bridge“

Am Beginn jeder Show sind alle teilnehmenden KünstlerInnen über die „Magic Bridge“ – ein mit Lichteffekten unterstütztes Spalier durch das Saalpublikum – vom Green Room auf die Showbühne eingezogen.

Die polnische Künstlerin Monika Kuszyńska, die Rollstuhlfahrerin ist, stand auf der Seite der „Magic Bridge“ und konnte nicht wie die anderen KünstlerInnen vom Green Room auf die Bühne fahren, weil sowohl vor dem Green Room als auch vor der Bühne Stufen vorhanden waren. Sie wurde von ihrem Ehemann Kuba Raczyński, dem Komponisten ihres Songs, und zwei Helfern in ihrem Rollstuhl auf die Bühne getragen.

Laut Stellungnahme des ORF war dies ihr eigener Wunsch und der ORF hätte Alternativen vorgeschlagen. Ich frage mich, welche Alternativen hat der ORF angeboten? Ich weiß zwar, dass die Bühne von hinten barrierefrei begehbar war, aber wie schön wäre es gewesen, wenn der Green Room und die Bühne im Sinne von „Building Bridges“ auch von vorne berollbar gewesen wäre? Hätte man dies nicht von vornherein einplanen können?

Das Finale und der Euroclub

Den krönenden Abschluss meiner zweiwöchigen Reise bildete dann der Finaltag am vergangenen Samstag.

Gemeinsam mit KollegInnen verfolgte ich im Volunteer-Center und im Pressezentrum gebannt die Show und feierte danach gemeinsam mit dem schwedischen Sieger, Mans Zelmerlöw, den Makemakes, Ann Sophie aus Deutschland, Guy Sebastian aus Australien, Anti Social Media aus Dänemark und Debrah Scarlett aus Norwegen bis frühmorgens um 8 Uhr im Euroclub in der Ottakringer Brauerei.

Da ich in meiner Tätigkeit am Infopoint nur selten Backstage war, habe ich zuvor nur ab und zu zufällig einen Promi getroffen. Einmal habe ich beim Delegationseingang die norwegischen Künstler vorbeihuschen gesehen, dann die 3 Moderatorinnen am Gang stehen sehen, aber mehr auch nicht. Umso mehr war ich vom Auflauf der Prominenz in der Ottakringer Brauerei beeindruckt.

Leider musste ich bei meinem Besuch in der Ottakringer Brauerei auch feststellen, dass mit der Wahl der Ottakringer Brauerei nicht die beste barrierefreie Lokalität für den Euroclub ausgesucht worden war. Zwar gibt es ein barrierefreies WC, aber nicht alle Floors sind barrierefrei erreichbar.

Abschließend kann ich sagen, dass der Songcontest ein großartiges Erlebnis für mich war. Es war toll, so mittendrin zu sein.

Der ORF wollte neue Maßstäbe setzen – den Eurovision Song Contest barrierefrei und inklusiv gestalten. Dieses Vorhaben hat teilweise gut geklappt. So wurden beispielsweise alle Shows in internationale Gebärden übersetzt. Öfter wurde aber auch auf die Barrierefreiheit vergessen oder ihrer Umsetzung nicht genug Bedeutung beigemessen. Es werden noch viele Brücken gebaut werden müssen.

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