Die Gasometerstory

Wie in Wien Menschen mit Behinderung von Politik und Verwaltung diskriminiert werden. Ein Kommentar.

Gasometer
Mag. Andreas Pöschek / www.viennaphoto.a

Wahrscheinlich ist Wien weit und breit die einzige Stadt, in der es ein großes Einkaufszentrum gibt, in welches man erst gelangt, nachdem man zuerst bergauf geht, dann noch mehrere Stufen erklimmt, um sich schließlich durch enge Drehtüren zu zwängen.

Es sieht so aus, als wären Besucherinnen und Besucher nicht wirklich erwünscht. Für weniger mobile Besucherinnen und Besucher gibt es jetzt zwar 2 Seitentüren, diese waren bisher aber auch nicht barrierefrei benutzbar.

Das ist die Situation in der Gasometer-City, einem Einkaufszentrum in Wien-Simmering mit angeschlossenem Entertainmentcenter, Büroflächen, einem Studentenwohnheim, rund 600 Wohnungen und einem Kinocenter.

Einkaufzentrum 2001 eröffnet

Das Einkaufszentrum wurde am 30. September 2001 eröffnet, die Umbaukosten der vier Gasometer verschlangen den stolzen Betrag von 2,4 Milliarden Schilling, das sind 174 Millionen Euro.

Hervorgegangen ist die Gasometer-City aus einem Architektenwettbewerb, der bereits 1995 ausgeschrieben worden war und als dessen Sieger Stararchitekten aus Österreich und einer aus dem Ausland hervorgegangen sind, welche die Umgestaltung der vier Gasometerbehälter erarbeiteten.

2 Ursachen

Die befremdliche Situation rund um den Bereich des Haupteingangs ist im Wesentlichen auf zwei Hauptursachen zurückzuführen: Zum einen hatten die Archtitekten anscheinend noch nie etwas davon gehört hatten, dass automatische Türen bei Objekten dieser Größenordnung aufgrund der Besucherfrequenzen im Mittel defacto ständig „geöffnet“ sind und dadurch ein starker Verlust an Wärme (Winter) oder gekühlter Luft (Sommer) entsteht.

Außerdem hatte man vorher anscheinend nicht bedacht, dass der Haupteingang nach Westen hin orientiert sein wird und deswegen große Probleme mit der Zugluft entstehen würden. Das wurde vom Architekten als Grund für den Umbau des Eingangsbereichs genannt.

Die zweite Ursache für die völlig verfahrene Situation ist, dass eine Höhendifferenz von nicht weniger als einem (!) Meter zwischen dem Niveau der unteren (Eingangs)Ebene und dem der Straße bzw. des Gehsteigs vor dem Eingangsbereich besteht, wo sich auch die Haltestelle „Gasometer“ der Linie U 3 der Wiener U-Bahn befindet. Die Eröffnung dieser U-Bahnstation fand am 2. Dezember 2000 statt, also nur etwas mehr als ein dreiviertel Jahr vorher.

Kein Verantwortlicher kümmerte sich darum

Das heißt nicht weniger, als dass die Stadt Wien in den Jahren zuvor die Arbeiten für die Planung und Bauarbeiten für diese beiden Großvorhaben parallel laufen ließ, aber sich keiner der Verantwortlichen darum kümmerte, dass als Ergebnis ein Höhenunterschied von einem Meter entstehen wird. Das erinnert fatal an die nicht geplante und auch später verweigerte Anbindung der Linie U2 an den neuen Wiener Hauptbahnhof.

Diesen Missstand versuchte man zu beheben, indem vom Gehsteig rund um die U3-Station bis hinein ins Einkaufszentrum eine Rampe gebaut wurde, die nur den einen Schönheitsfehler hatte, dass sie der ÖNORM B 1600 und damit dem Stand der Technik nicht entsprach, zudem wurde die Wiener Bauordnung in exzessiver Weise ausgelegt.

Eingangsbereich wurde neu gestaltet

Bis vor kurzem wurde dieses Faktum offensichtlich als nicht so gravierend angesehen. Dies änderte sich jedoch als begonnen wurde, den Eingangsbereich neu zu gestalten und anstelle der bisherigen automatischen Schiebetüren Drehtüren eingebaut sowie davor noch 3 Stufen errichtet wurden.

Als Seiteneingang gab es nun plötzlich jeweils eine ganz normale Glastüre, die von innen mittels eines sogenannten Panikverschlusses und von außen mit einer Türschnalle zu öffenen war.

Nach heftigen Protesten von Menschen mit Behinderung wurden innen und außen Säulen mit einem sogenannten Türtaster errichtet. Diese Lösung hatte jedoch den Nachteil, dass Benützer und Benützerinnen eines manuellen Rollstuhls wegen der Steigung der Rampe anhalten mussten, um den Schalter zu drücken und dabei wegen des starken Gefälles unabsichtlicherweise wieder zurückrollten.

Nach neuerlichen Protesten und um ein Zurückrollen des Rollstuhls zu vermeiden, wurde nun die Fläche rund um die Tastersäule eben ausgestaltet.

Das hatte jedoch den Nachteil, dass sich dadurch die Steigung davor erhöhte. Um dieser Steigung auszuweichen, wurden nun im seitlichen Bereich Leitlinien, versehen mit einem Rollstuhl- und einem Kinderwagen-Piktogramm angebracht, die im Bogen die Rampe umrunden und solcherart den ihnen Folgenden die zu große Steigung helfen sollen, den Weg mit der geringsten Steigung zu wählen.

Das bedeutet jedoch auch, dass sich der Weg zum Eingang verlängert. Zudem kann diese Bodenmarkierung leicht übersehen werden und sie wird gar nicht mehr zu bemerken sein, wenn die Farben verblassen und nicht nachgezogen werden.

Derzeit warten noch verschiedene Fragen auf ihre Klärung: Noch völlig offen ist, wie die neue Lösung im Eingangsbereich in der Praxis funktionieren wird: Nicht nur für Menschen im Rollstuhl sondern auch für gehbehinderten oder älteren Menschen, bei Benützerinnen und Benützern eines Rollators, bei Personen mit einem Kinderwagen, etc.

Frage der Verantwortung

Noch nicht geklärt ist auch die Frage der politischen Verantwortung sowie der Verantwortung der Verwaltung für dieses Desaster:

Denn nach genauem Studium der zum Zeitpunkt der Einreichung der Baupläne geltenden Bestimmungen der Bauordnung für Wien gelangt man zu der ernüchternden Feststellung, dass dieses Wiener Gesetz damals nur einen barrierefreien Eingang verlangte. Was damals nicht verlangt wurde, war, dass es der Haupteingang sein muss oder zumindest ein Eingang in unmittelbarer Nähe des Haupteingangs.

Das bedeutet, dass das mangelhafte Gesetz, das mittlerweile in diesem Punkt repariert wurde, von den Bauherren bzw. den Architekten zynisch ausgenützt wurde – und das mit Duldung der Politik und Verwaltung.

Nicht geklärt ist, wie es passieren konnte, dass die Gasometer umgestaltet und dabei so geplant wurden, dass ihre Eingangsebene gleich um einen Meter höher lag als das Straßenniveau bzw. der Eingang zur U-Bahnstation. Wie konnte im Jahr 2001 eine Rampe mit Steigungen von teilweise mehr als 10 % überhaupt genehmigt werden?

Und wie kann die Baupolizei in ihrer Bewilligung für den Umbau im Jahr 2010 akzeptieren, dass es zu Verschlechterungen für Menschen mit Behinderungen (und auch für viele andere Personen) kommt?

Wenn nun Leute glauben, dass mit einer Lösung im Eingangsbereich alles in Ordnung ist, dann sind sie entweder schlecht informiert oder daran interessiert, dass bald Gras über die Sache wächst.

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