Die Behindertenrechtskonvention: viel Potential, wenig Konkretes

Serie: Wie funktioniert der Menschenrechtsschutz mit Konventionen?

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Die UN-Behindertenrechtskonvention wurde 2008 von Österreich ratifiziert und gilt als Meilenstein für die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

In Teil 5 unserer Artikelserie zu den internationalen Konventionen nehmen wir die UN-BRK, wie die Konvention oft abgekürzt wird, genauer unter die Lupe.

Als einziger völkerrechtlicher Vertrag, den wir in dieser Serie vorstellen, wurde die UN-Behindertenrechtskonvention auch von der Europäischen Union ratifiziert. So wie alle anderen Vertragsstaaten muss auch die EU in regelmäßigen Abständen berichten, wie die Umsetzung der Konvention in der Union voranschreitet. Die Prüfung der EU wird Ende August in Genf über die Bühne gehen.

Wir sind nicht behindert, wir werden behindert

Mit der UN-BRK wird ein Paradigmenwechsel vollzogen: Menschen mit Behinderungen werden nicht als Personen mit medizinischen Problemen oder Defiziten definiert, sondern als selbstbestimmte Subjekte, die von der Gesellschaft behindert werden. „Wir sind nicht behindert, wir werden behindert“, lautet demzufolge einer der Leitsätze der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung.

Die UN-BRK erhebt Inklusion zum Prinzip, mit dem soziale Barrieren überwunden werden können und die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen in einer Gesellschaft garantiert wird.

Eine Definition von Behinderung sucht man in der Behindertenrechtskonvention übrigens vergeblich. Stattdessen beinhaltet sie eine umfassende Beschreibung von Diskriminierung. In Artikel 5 widmet sich eine eigene Bestimmung dem Thema Antidiskriminierung, das als Grundpfeiler von Menschenrechten verstanden wird.

Für Christina Wurzinger von der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation ÖAR ist die Behindertenrechtskonvention dementsprechend „richtungsweisend für die österreichische Gleichstellungspolitik“. Wurzinger: „Durch die Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention könnten wir uns im Grunde viele lang geführte Diskussionen sparen. Die Erfüllung der in der Konvention verbrieften Rechte würde weitestgehende Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen herstellen.“

„Konvention wird im täglichen Handeln ignoriert“

So vielversprechend die Forderungen und Prinzipien in der UN-Behindertenrechtskonvention sind, so schleppend ist die Umsetzung in vielen Vertragsstaaten. Auch in Österreich sei kein großer Wille zur Umsetzung der Konventions-Forderungen zu spüren, kritisiert Martin Ladstätter von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Er bezeichnet Österreich gar als „menschenrechtspolitisches Entwicklungsland“.

„Der Paradigmenwechsel hin zu Inklusion, Partizipation und Verantwortung für Gleichstellung wurde noch nicht vollzogen. Daraus folgt leider, dass viele der in der Konvention festgeschriebenen Rechte wie beispielsweise De-Institutionalisierung oder Inklusion im Bildungsbereich im täglichen Handeln einfach ignoriert werden. Meist ist die einzige ‚Handlung‘ das Bekenntnis, die Konvention umsetzen zu wollen“, so Ladstätter.

Für Christina Wurzinger gibt es aber auch positive Signale, was die Umsetzung der Konvention betrifft. Sie plädiert dafür, „die Anstrengungen, die von einzelnen Ressorts und VerantwortungsträgerInnen ausgehen, nicht zu übersehen.“ Ein gutes Beispiel ist für sie der Reformprozess zur Sachwalterschaft. „Aber auch die Einführung inklusiver Regionen ist ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings muss klar sein, dass dieser Weg auch zu Ende zu gehen ist“, so Wurzinger.

Für die Expertin erschweren vor allem die föderalistischen Strukturen in Österreich den Umsetzungsprozess der UN-Konvention: „Mehr jedoch als die föderalistischen Gegebenheiten bildet der alles andere als konstruktive Umgang mit diesen ein Haupthindernis. Es scheint allgemein an Ideen und hinreichendem Willen zu mangeln, einen Weg aus der Sackgasse zu finden. Ein weiteres wesentliches Problem stellt das mangelnde Bewusstsein für den Querschnittcharakter der Materie dar. Verantwortungen werden vielfach nicht übernommen, was ein einheitliches und kohärentes Vorgehen wesentlich erschwert“, ergänzt sie.

NAP Behinderung – ein Vertröstungsdokument?

Auf Bundesebene wurde immerhin ein Nationaler Aktionsplan (NAP) Behinderung ins Leben gerufen, der von Martin Ladstätter allerdings wenig schmeichelhaft als „Vertröstungsdokument“ bezeichnet wird. „Grundsätzlich wäre ein strukturierter Plan zur Umsetzung der Konvention durch Bund und Länder sehr wichtig“, findet Ladstätter.

Damit ein solcher Plan aber wirklich Verbesserungen für die Situation von Menschen mit Behinderungen bringt, wäre laut Ladstätter nicht nur eine klare Aufgabenverteilung notwendig, sondern auch eine realistische Analyse der jetzigen Situation. Außerdem müssten Indikatoren festgelegt werden, mit denen die Fortschritte gemessen werden können und Verantwortlichkeiten sowie die finanziellen Ressourcen festgelegt werden.

„Da der NAP Behinderung dies alles nicht hat, sondern nur eine schöne Absichtserklärung ist, halte ich ihn nicht für hilfreich“, schließt Ladstätter resigniert.

Staatenbericht: Österreich hat einiges nachzuholen

Auch bei der UN-Behindertenrechtskonvention muss sich Österreich in regelmäßigen Abständen einer Staatenprüfung unterziehen. Die erste dieser Prüfungsrunden hat im September 2013 stattgefunden. Am Ende dieses Prozesses steht, so wie bei allen Konventionen, eine Liste mit Empfehlungen, die sogenannten Concluding Observations.

In seinen Empfehlungen aus dem Jahr 2013 beschäftigt sich das UN-Komitee aber nicht nur mit der Umsetzung der Forderungen in der Konvention. Auch die deutsche Übersetzung des Konventionstextes gibt Anlass zur Kritik: Dort ist nämlich von „Integration“ die Rede, wenn im englischen Originaltext „Inklusion“ gemeint ist.

In den mehr als 20 Empfehlungen, die das UN-Komitee an Österreich gerichtet hat, findet sich Kritik am österreichischen Föderalismus genauso wie am System der Sachwalterschaft.

Österreich wird aber auch aufgefordert, mehr bewusstseinsbildende Maßnahmen durchzuführen, um das Bild von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft positiv zu gestalten. Von einem inklusiven Arbeitsmarkt und inklusiver Bildung sei man in Österreich noch weit entfernt, hält das Komitee weiter fest.

Wie beim Staatenprüfverfahren üblich, haben NGOs auch bei der UN-BRK die Möglichkeit, Schattenberichte abzugeben. Der Klagsverband hat in seinem Schattenbericht vor allem die Zersplitterung des österreichischen Antidiskriminierungsrechts kritisiert. Immerhin befassen sich mehr als 50 Gesetze auf Bundes- und Landesebene mit Antidiskriminierungsthemen. Niederösterreich ist übrigens das einzige Bundesland, in dem für Menschen mit Behinderungen im Landes-Gleichbehandlungsgesetz kein Schutz vor Diskriminierung außerhalb der Arbeitswelt vorgesehen ist.

Aber auch das nicht vorhandene inklusive Bildungssystem, mangelnde Barrierefreiheit, und zu großzügige Etappenpläne standen auf der Agenda des Klagsverbands.

Im Oktober 2018 ist der nächste Staatenbericht Österreichs an die UNO fällig. Bis dahin, da sind sich VertreterInnen der Zivilgesellschaft einig, hat Österreich noch einiges nachzuholen.

Erste Individualbeschwerde aus Österreich

Österreich hat auch das Fakultativprotokoll zur UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet und damit den Weg frei gemacht für Individualbeschwerden. Die erste Beschwerde aus Österreich wurde 2014 von einem blinden Linzer mit Unterstützung des Klagsverbands eingebracht.

Dieser Weg ist dann möglich, wenn auf nationaler Ebene alle Instanzen ausgeschöpft wurden. Herr F. hatte die Linz Linien wegen mangelnder Barrierefreiheit verklagt. Er benützt für seinen Weg in die Arbeit fast jeden Tag die Straßenbahn. Mit einem kleinen Handsender kann er sich die Fahrgastinformationen, die auf den Anzeigetafeln stehen, vorlesen lassen. Beim Ausbau der Straßenbahnlinie 3 war sein Handsender aber plötzlich nutzlos: Die neue Strecke wurde nicht mehr mit akustischer Sprachausgabe ausgestattet.

Herr F. hat die Straßenbahnbetreiber daraufhin mit Unterstützung des Klagsverbands geklagt, die österreichischen Gerichte haben die Diskriminierung aufgrund seiner Behinderung aber in zwei Instanzen nicht bestätigt. Bei der Beschwerde an das UN-Komitee geht es jetzt darum zu beweisen, dass Österreich die Konvention verletzt hat.

Für Martin Ladstätter ist diese Form der Rechtsdurchsetzung eine gute Alternative: „Ich glaube, Individualbeschwerden haben das Potential den österreichischen Schrebergarten des Verständnisses der Konvention um eine Außenbewertung zu bereichern. Falls uns in Zukunft hier klare Ergebnisse von Individualbeschwerden vorliegen sollten, erwarte ich mir das Aufzeigen von Versäumnissen bei der Umsetzung der UN-BRK im österreichischen Recht.“

Monitoring durch unabhängige Gremien

Neben Staatenberichten und Individualbeschwerden gibt es noch eine weitere Instanz, die dazu beitragen soll, die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich zu überwachen: Die Konvention verlangt von jedem Vertragsstaat sogenannte Monitoringstellen einzurichten.

In Österreich ist der Bund dieser Aufforderung mit dem Bundes-Monitoringausschuss bereits nachgekommen, inzwischen sind auch in den meisten Bundesländer Ausschüsse eingerichtet.

Die Monitoringstellen sind unabhängige Gremien, die überwachen sollen, ob die Bundes-, aber eben auch die Länderverwaltungen die Konvention umsetzen. Die UN-BRK verlangt, dass diese Gremien nach den von der UNO 1993 formulierten Pariser Prinzipien gestaltet sein müssen.

Christina Wurzinger hat als bisherige stellvertretende Vorsitzende die Geschäftsführung des Vorsitzes des Bundes-Monitoringausschusses übernommen.

Die Pariser Prinzipien erfüllt das Gremium für sie allerdings noch nicht: „Die personelle Besetzung des Monitoringausschusses und seine tatsächlich unabhängig geführte Arbeit halte ich für sehr zufriedenstellend. Allerdings erfüllt der Ausschuss derzeit nicht die formellen Unabhängigkeitskriterien der Pariser Prinzipien. Abgesehen von der mangelnden finanziellen Unabhängigkeit ist in diesem Zusammenhang auch die derzeitige Konstruktion als Beratungsorgan eines Beratungsorgans und die Signalwirkung der Ansiedelung ‚Sozial‘ statt ‚Zentral‘ bzw. ‚Exekutive‘ statt ‚Legislative‘ bedenklich“, gibt die Vorsitzende zu bedenken.

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