Franz-Joseph Huainigg

Der Arzt, das Gericht und das unerwünscht behinderte Kind

Soll ein Arzt für den gesamten Unterhalt eines Kindes zahlen müssen, weil er Aufklärungspflicht unzureichend eingehalten und es für eine Abtreibung dann zu spät war? (Ein Kommentar im Standard vom 19. Juli 2006)

Nach der Geburt ihres Kindes mit Down-Syndrom klagte die Mutter auf Schadenersatz. In zwei Instanzen wurden die Forderungen abgewiesen, der OGH hob diese Entscheidung wieder auf, was schlussendlich eine Verurteilung des Arztes auf Kostenersatz des gesamten Lebensunterhaltenes des Kindes bedeuten kann. Eine völlig bedenkliche Gerichtsentscheidung mit weit reichenden Folgen! Es ist bislang einzigartig, dass ein Arzt für die gesamte Lebensexistenz eines Menschen verantwortlich gemacht wird.

Zudem liegt kein Behandlungsfehler vor sondern es wird offenbar eine mangelhafte Beratung angenommen. Doch auch eine ausführlichere Beratung hätte keine Auswirkungen auf die Behinderung des Embryos gehabt, da bei Down-Syndrom im Mutterleib keine Therapie möglich ist. Grundsätzlich hat ein Arzt aber nur die Aufgabe zu heilen aber nicht über das Lebensrecht eines Kindes zu urteilen.

In letzter Konsequenz heißt das OGH Urteil auch, dass ein Arzt dafür haftet, dass ein Kind nicht abgetrieben worden ist. Das StGB stellt jedoch lediglich die Abtreibung straffrei und schreibt fest, dass kein Arzt zur Durchführung oder Mitwirkung einer Abtreibung verpflichtet ist. Ebenso untersagt die österreichische Bundesverfassung eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung.

Es gibt kein Recht auf ein nicht behindertes Kind, daher gibt es auch keine Pflicht des Arztes alles zu unternehmen, um die Geburt eines behinderten Kindes zu verhindern. Behinderung kann nicht aus der Welt geschafft werden, nur 1 Prozent aller Behinderungen sind überhaupt vorgeburtlich erkennbar. Behinderungen durch die Geburt selbst sind weitaus häufiger. Zu bedenken ist auch, dass behinderte Kinder mit Down-Syndrom bei entsprechender Förderung und Integration gute Perspektiven auf ein zufriedenes Leben inmitten unserer Gesellschaft haben. Behinderung darf nicht immer nur als Schaden und Tristesse angesehen werden.

Durch diese Rechtssprechung erhöht sich der Druck auf Ärzte ungemein, alle nur erdenklichen Methoden der Pränataldiagnostik anzuwenden. Ob dies im Sinne der werdenden Mutter ist scheint fraglich, da auch sie unter den Druck kommt, ja ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Der Stress der Untersuchungen und mögliche Folgeschäden des Embryos durch die Untersuchungsverfahren sind als negativ Erscheinungen voraussehbar.

Durch die Präimplantationsdiagnostik und die neuen Möglichkeiten Schäden bei Genen vorgeburtlich zu erkennen, ergeben sich neue Fragestellungen: Im Sinne der getroffenen OGH-Entscheidung könnte ein Arzt vielleicht auch für eine auftretende Krebserkrankung eines erwachsenen Menschen haftbar gemacht werden, wenn dies schon vorgeburtlich festzustellen gewesen wäre. Hier bedarf es offensichtlich neuer gesetzlicher Regelungen zur Haftung der Ärzte, denn eine lebensbejahende Beratung muss möglich sein. Außerdem muss man sich gegen Beratungsfehler zur Wehr setzen können, ohne gleich das Kind zum „Schadensfall“ machen zu müssen.

Weiter braucht es eine bessere Information für Ärzte im Umgang mit dem Thema Behinderung, da Ärzte hier leider oft überfordert sind. Die psychosozialen Beratungen für werdende Eltern sind dringend auszubauen. Eine bessere Beratung soll ihnen die Entscheidung für ein behindertes Kind ermöglichen. Natürlich müssen die Rahmenbedingungen zur Integration und Gleichstellung behinderter Menschen ausgebaut und ständig weiterentwickelt werden: gleiche Chancen im Leben sowie auch vor der Geburt!

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