Das Individualbeschwerdeverfahren

Serie: Wie funktioniert der Menschenrechtsschutz mit Konventionen?

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Neben der periodischen Kontrolle der Vertragsstaaten mittels Staatenberichtsverfahren haben die internationalen Konventionen noch ein verbindendes Element: in sogenannten Zusatz- oder Fakultativprotokollen ist die Möglichkeit der Individualbeschwerde festgeschrieben.

(Dieser Artikel ist Teil der Serie „Wie funktioniert der Menschenrechtsschutz mit Konventionen?“)

Staaten, die diese Zusatzprotokolle ratifizieren, eröffnen damit für Einzelpersonen die Möglichkeit, eine Beschwerde wegen Verletzung der Konvention durch den Vertragsstaat zu formulieren.

Kaum bekannte Form der Rechtsdurchsetzung

Individualbeschwerden sind jedoch kaum bekannt. Juristin Andrea Ludwig, die beim Klagsverband die Rechtsdurchsetzung leitet, weiß auch wieso: „In Österreich gibt es kaum spezialisierte Institutionen, die Beratung oder sogar Vertretung bei UN-Individualbeschwerden anbieten können“, erklärt sie.

Ohne kompetente Unterstützung sei es aber gar nicht so einfach, den Weg nach Genf anzutreten. Für diesen Weg der Rechtsdurchsetzung müssen eine Reihe von Kriterien berücksichtigt werden.

Langwieriges Verfahren mit formalen Hürden

Eine Beschwerde an einen UN-Fachausschuss kann erst gemacht werden, wenn der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft ist. Der Individualbeschwerde geht damit meistens ein langer Rechtsstreit auf nationaler Ebene voraus. Die Beschwerde muss sich dann auf die Bestimmungen des jeweiligen Abkommens beziehen.

Aber auch formale Aspekte spielen eine große Rolle: Die Beschwerde muss schriftlich eingebracht werden, dabei ist es von Vorteil, wenn die jeweilige Amtssprache des Ausschusses verwendet wird. Das kann vor allem die Verfahrensdauer positiv beeinflussen. Die Beschwerde darf auch nicht anonym gemacht werden.

Überschaubare Kosten, kein Anwaltszwang

Wenn diese Hürden genommen sind, muss der zuständige Fachausschuss der UNO die Beschwerde prüfen. Gegenüber der innerstaatlichen Rechtsdurchsetzung gibt es dabei sogar Vorteile: Es besteht kein Zwang, sich anwaltlich vertreten zu lassen und auch die Kosten sind überschaubar.

Während bei einem Gerichtsverfahren nach österreichischem Recht neben Schadenersatzforderungen noch Gerichtskosten und sonstige Abgaben anfallen, entstehen bei einer Beschwerde an die UNO lediglich Kosten für die eigenen Aufwendungen, also zB die Arbeitszeit für die Formulierung der Beschwerde oder Kosten für die Übersetzung von Schriftstücken. Kosten für die Rechtsvertretung, die bei innerstaatlichen Verfahren meistens einen nicht unbeträchtlichen Teil ausmachen, fallen keine an.

Mögliche Nebenwirkung: Verbesserung des Menschenrechtsschutzes

Ist diese Form der Rechtsdurchsetzung empfehlenswert? „Eine Beschwerde ist gegen einen Vertragsstaat gerichtet“, erklärt Andrea Ludwig die Besonderheiten dieser Form der Rechtsdurchsetzung. Eine Individualbeschwerde bei der UNO könne aber Menschenrechtsverletzungen durch einen Vertragsstaat, die eine Vielzahl von Personen betreffen, aufzeigen.

Andrea Ludwig: „Es kann auch für KlägerInnen von großer Bedeutung sein sich zu wehren, ein innerstaatliches, letztinstanzliches Urteil in Frage zu stellen und Verstößen gegen UN-Abkommen nachzugehen.“

Aber auch für die Person, die eine Beschwerde an die UNO richtet, sieht Andrea Ludwig Vorteile: „Es kann auch für KlägerInnen von großer Bedeutung sein sich zu wehren, ein innerstaatliches, letztinstanzliches Urteil in Frage zu stellen und Verstößen gegen UN-Abkommen nachzugehen“, so die Rechtsexpertin.

Für Barbara Liegl, Antidiskriminierungsexpertin am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, liegt die Bedeutung einer Individualbeschwerde für den Menschenrechtsschutz auf der Hand: „Die Empfehlungen, die der jeweilige UNO-Fachausschuss nach Abschluss eines Beschwerdeverfahrens ausspricht, können dazu führen, dass künftiges Unrecht verhindert wird“, ist sie überzeugt. Damit eine Individualbeschwerde diesen Effekt hat, brauche es aber die Unterstützung durch NGOs.

„Allein mit den Empfehlungen des Fachausschusses ist es nicht getan“, erklärt Liegl. „Wichtig sind NGOs wie der Klagsverband, die sich der Empfehlungen annehmen, sie publik machen und systematisches Lobbying betreiben, damit sie auch umgesetzt werden.“

NGOs als kompetente Unterstützung

„Vereine sollten auf jeden Fall motiviert werden, diese Art der Unterstützung anzubieten“, ist Andrea Ludwig überzeugt. „Ob es für die betroffene Person ein Weg ist, den sie gehen will, muss sie selbst entscheiden. Um aber eine Entscheidung treffen zu können, braucht es Information und Beratung. Und hier haben NGOs viel Potenzial. Eine kompetente Unterstützung an seiner Seite zu wissen, kann durchaus der ausschlaggebende Punkt sein, warum sich Menschen für eine Individualbeschwerde entscheiden.“

Von der Diskriminierung zur Menschenrechtsverletzung

Andrea Ludwig: „Hier geht es nicht mehr um die individuelle Diskriminierung, sondern um eine Menschenrechtsverletzung durch den Staat.“

Wer sich für eine Individualbeschwerde entscheidet, müsse einen großen gedanklichen Sprung vollziehen, ist die Juristin überzeugt: „In diesem Stadium der Rechtsdurchsetzung geht es nicht mehr ausschließlich um die individuelle Diskriminierung, die ich erlebt habe, sondern um eine Menschenrechtsverletzung durch den Staat.“

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