Caritas: Sonderschule „Am Himmel“ wird in eine inklusive Schule umgewandelt

Dieser Entschluss wurde von der Caritas reiflich überlegt. BIZEPS-INFO führte mit Mag. Klaus Schwertner (Geschäftsführer bei Caritas der Erzdiözese Wien) diesbezüglich ein ausführliches schriftliches Interview.

Klaus Schwertner
Laurent Ziegler

Er erzählt darin die Beweggründe der Wiener Caritas und warum sie eine gut funktionierende Sonderschule ab dem Jahr 2016 umwandeln wird.

Im Detail geht er auch auf die Bedenken von Eltern ein und erläutert, wie verunsicherte Eltern auf diesen Weg mitgenommen werden sollen.

Interview mit Klaus Schwertner (Caritas)

BIZEPS-INFO: Wie viele Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen sind derzeit an der Schule?

Klaus Schwertner: Im kommenden Schuljahr werden voraussichtlich 35 Kinder mit Behinderung unsere Schule „Am Himmel“ besuchen.

Veränderungen verunsichern Eltern

BIZEPS-INFO: Wie kam es zur Überlegung der Weiterentwicklung?

Klaus Schwertner: Gute Frage. Wir sind derzeit in einer etwas paradoxen Situation. Immerhin führen wir „Am Himmel“ eine Schule, in der sich viele Kinder, aber auch die Lehrerinnen und Lehrer ein wenig wie im Himmel fühlen dürfen. Es ist ein Ort, an dem Kinder und Erwachsene sehr glücklich sind.

Es ist eine Schule, in der Eltern ihre Kinder gut aufgehoben wissen. Sie können sicher sein, dass ihr Kind in ihrem Sosein angenommen ist. Inmitten einer Gesellschaft, die Menschen mit Behinderung sehr oft noch immer nicht das bieten kann, was sie benötigen, ist das nicht selbstverständlich.

Insofern ist es verständlich, wenn nun einige Eltern angesichts bevorstehender Veränderungen verunsichert sind.

Erst nach reiflicher Überlegung beschlossen

Klaus Schwertner: Doch nach reiflicher Überlegung haben wir beschlossen, die Schule „Am Himmel“ zu einer inklusiven Schule zu erweitern.

Dabei geht es uns darum, einerseits die Kernkompetenz der Schule – individuelle bedürfnisorientierte Betreuung der Schülerinnen und Schüler – zu erhalten und ihr ab dem Schuljahr 2016/17 andererseits eine weitere Kompetenz hinzuzufügen: Nämlich zu zeigen, dass ein gemeinsamer Unterricht aller Kinder nicht nur in der Theorie, sondern eben auch in der Praxis möglich ist.

Ziel ist ein ganztägiger Lebens- und Lernort für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung. Und wir hoffen, dass uns die Eltern und ihre Kinder auf diesem Weg begleiten.

BIZEPS-INFO: Welche Argumente führten zum Entschluss Inklusion umsetzen zu wollen?

Klaus Schwertner: Die Caritas sieht die Erweiterung der Schule „Am Himmel“ als wichtiges Zeichen der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft insgesamt. Das mag hochtrabend klingen, ist aber unser voller Ernst.

Denn Menschen, die gewohnt sind, von Kindheit an gemeinsam das Leben zu gestalten, werden sich ausgrenzenden Tendenzen vermehrt entgegenstellen. Eine gemeinsame Schule steigert nicht nur die kognitive, sondern auch die emotionale und soziale Kompetenz jedes einzelnen Kindes und damit später auch der erwachsenen Mitglieder unserer Gesellschaft.

Gleichzeitig sollten wir nicht vergessen: Österreich hat sich im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, ein flächendeckendes inklusives Bildungssystem für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen zur Verfügung zu stellen.

(Siehe auch Interview mit dem Präsidenten der Caritas Österreich, Dr. Michael Landau; Anmerkung der Redaktion)

Separierende Sonderschulen gehören in absehbarer Zeit der Vergangenheit an

BIZEPS-INFO: Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert Inklusion ein. Was bedeutet dies konkret?

Klaus Schwertner: Ein solch richtiges und wichtiges Bekenntnis bleibt jedoch nutzlos und inhaltsleer, wenn man es nicht mit Leben erfüllt. Dass Österreich in der Umsetzung bislang säumig war, hat auch BIZEPS zu Recht immer wieder berichtet und kritisiert. Denn ein solches Bekenntnis bedeutet auch, dass separierende Sonderschulen in absehbarer Zeit der Vergangenheit angehören.

Mit der geplanten Erweiterung der Schule „Am Himmel“ hin zu einer inklusiven Schule wollen wir also diesen Ansprüchen gerecht werden, vor allem wollen wir aber den Bedürfnissen der Kinder noch gerechter werden.

Wenn wir dabei ganz nebenbei auch einen kleinen Beitrag leisten, um die UN-Behindertenrechtskonvention zu erfüllen, dann soll uns das auch recht sein. Aber im Zentrum – und das steht völlig außer Frage – steht jedes einzelne Kind.

Ziel ist, mit dem Schuljahr 2016/17 zu starten

BIZEPS-INFO: Wann soll dieses System umgesetzt werden?

Klaus Schwertner: Unser Ziel ist es, mit dem Schuljahr 2016/17 zu starten. Bis es aber so weit ist, werden wir uns auch unter Einbindung der Eltern und der Lehrerinnen und Lehrer nun gemeinsam daran machen, das Detailkonzept auszuarbeiten.

Schließlich ist dieser persönliche und fachliche Blick auf das neue Projekt absolut hilfreich, wenn es darum geht, die Schule „Am Himmel“ zu einer Inklusionsschule zu erweitern.

Und all dies geschieht ja nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil des Entwicklungsweges, den wir als Caritas, den aber auch andere Regionen – etwa Reutte in Tirol – in den vergangenen Jahren gegangen sind.

Setzen einen Schritt nach dem anderen

BIZEPS-INFO: Wird es mit allen sieben Klassen gleichzeitig passieren, oder aufsteigend?

Klaus Schwertner: Langfristig sind altersheterogene Lerngruppen mit Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 15 Jahren geplant. Aber klar ist, wir wollen nichts überstürzen und einen Schritt nach dem anderen setzen.

Konkret werden wir voraussichtlich mit den Kindern zwischen 0 und 12 Jahren starten und das Konzept in der Folge stufenweise ausweiten.

BIZEPS-INFO: Wie werden jene Ängste von Eltern berücksichtigt, die in manchen Medien laut werden?

Klaus Schwertner: Wir nehmen diese Sorgen natürlich sehr ernst. Eltern wollen stets das Beste für ihre Kinder. Klar ist aber auch: Auch für uns steht jedes Kind im Zentrum unserer Überlegungen. Insofern sind wir hier Partner.

Jedes Kind unserer Schule liegt uns am Herzen. Und wir sind und bleiben den Eltern im Wort: Selbstverständlich werden wir als Caritas die Eltern und ihre Kinder auf dem anstehenden Weg der Umgestaltung begleiten.

Und selbstverständlich kann jedes Kind, das „Am Himmel“ bleiben möchte, bleiben. Niemand muss die Schule verlassen. Jedes Kind – unabhängig von der Behinderung – wird „Am Himmel“ einen Platz haben.

Es gibt keine „Restkinder“ und auch keine „Restkinderschulen“

BIZEPS-INFO: Unter welchen Leitgedanken steht diese Weiterentwicklung?

Klaus Schwertner: Das Motto in der künftigen Schule soll lauten: So selbstständig wie möglich und so behütet wie nötig.

Dahinter steht auch die Überzeugung, dass es keine „Restkinder“ gibt und dass es letztlich – als Ziel – keine „Restkinderschulen“ im österreichischen Bildungssystem mehr geben soll.

BIZEPS-INFO: Was sind die nächsten konkreten Schritte?

Klaus Schwertner: Derzeit wird das pädagogische Rahmenkonzept erarbeitet. Es ist noch viel zu tun. Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass wir das nächste Kapitel in der Geschichte dieser Schule gemeinsam mit den Eltern aufschlagen können und dass dieses Kapitel ein erfolgreiches sein wird.

BIZEPS-INFO: Wir danken für das Interview.

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4 Kommentare

  • Lieber Herr Schwertner!
    Ich habe –aus gegebenem Anlaß-( mein Enkel),Ihre Stellungnahme,Ihre Visionen zur Schule am Himmel erst jetzt gelesen. Mutti von Paul nimmt kommenden Dienstag/ Mittw,
    kontakt mit Schule auf. Es ist deshalb Mitte des Oktober,da mein Enkel aus der bisher besuchten Schule nach 2 Wochen Schulzeit hinausgewiesen wurde. Er ist 6a alt.
    Ich gratuliere und hoffe,daß alles in dieser Schule sowie Sie und alle gleicher Motivationen gewünscht haben, klappt und mit Erfolg gekrönt wird.
    Ich habe vor bald 30a mit behinderten/ teils mehrfach und schwerbehinderten Kindern gearbeitet !!! Es war eine schöne Zeit, schwierig,da es damals noch viel mehr Ablehnung von vielen Seiten gab, aber sehr bereichernd für mich selbst.
    Viel Erfolg und gutes Gelingen weiterhin!
    Liebe Grüße
    e. Müller

  • Als Bildungsexperte Sonderpädagogik/Fachautor darf ich sagen (auch einer Frau Karoliny, welche schon sehr untergriffig geantwortet hat: 1.) Innerhalb der Inklusionsbewegung gibt es einen moderaten als auch radikalen Teil. Man muss BEIDE Linien kennen 2.) Weder die UN-Konvention von 1948, noch die Salamanca-Erklärung, noch die UN-Behindertenkonvention verlangen eine gesamte Auflösung der Einrichtungen. (Übrigens:Bezeichnungen der Schulen falsch! – Par.27a/b/c letzte Schog-Novelle)3.)Im verlangtem neuem System wird esauch aus Budgetgründen NICHT jene Rahmenbedingungen geben, die Kinder in „Sonderpäd.Zentren“ finden, z.B: die KLEIN- und KLEINSTGRUPPE 4.Im Falle der Radikalumsetzung wird die Wahl- und Optionenmöglichkeit aufgelöst,obwohl diese,über Umweg, auch zu einem Eintritt in das Leben führt. 5.)Die Menschenrechte sind auch in umgekehrte Richtung zu akzeptieren = Rede, Presse und Meinungsfreiheit, Optionsmöglichkeiten,… 6.) Kritisiert werden ALLE Sparten unter dem Argument der UN-Konvention und der ILLUSION einer völligen Dekategorisierung sowie Auflösung aller Grenzen 7.) Was passiert in der jahrelangen Übergangszeit? 8.)Es geht nur mehr um das „Problem der Institution“ und nicht mehr um die zu erreichenden Ziele. 9.)Viele Parameter-e.g.Verhaltensauffälligkeiten- werden absichtlich überhaupt nichtmiteinbezogen 1o.) Schließen wir medizinische Intensivstationen oder sämtliche anderen außerschulischen Einrichtungen inklusive der Paraolympics? 11.) Eine pluralistische Gesellschaft MUSS kontroversielle Diskussion zulassen und aushalten, Systeme schließen sich nicht notwendigerweise aus sondern ergänzen sich. 12.)ALLE Regelwerke sind keine absolutistischen Dogmen, man muss sie GANZ lesen, etwa „angemessen“ in UN-Konvention. 13.)Selbstverständlich werden Rechte umgekehrt eingeengt. 14.) Lesen: Dollase/Prof.Ahrbeck 15.)Dieses Thema zwingt zu ICH-Distanz,sachlichem Diskurs.16.)Es fehlt Mut, auch Grenzen in der Pädagogik aufzuzeigen, auch wenn es viele schmerzt! WW

  • Ich sehe das alles als ein schönes Zeichen, dass Inklusion im Schulbereich wenigstens mal irgendwo beginnt. So stelle ich mir „den Himmel auf Erden“ vor.
    Ich hoffe, dass auch meine Vor-Posterin davon bald einmal überzeugt werden kann, wenn das Ganze erst einmal läuft. Meine Überzeugung ist, dass auch in vielen Sonderschulen viele Kinder benachteiligt sind, vor allem was ihre „berufliche Karriere“ danach angeht. Auch soziale Kompetenz muss in „normalen“ Lebensfeldern gelernt werden und nicht im „Separet“.

  • Als Mutter dreier behinderter Kinder sehe ich in dieser Form der Inklusion eine schwere Benachteiligung der behinderten Kinder. Es ist einfach nicht moeglich, fuer jedes Kind eine individuelle Lernstrategie zu entwickeln, wenn man 20 Kinder in der Klasse hat. Einen Klassenverband aufzuweichen zu Gunsten einer klassenuebergrefenden Kooperation geht auch nicht. Gesundheitliche Massnahmen diskret waehrend des Unterrichts erledigen geht auch nicht. Das momentane Inklusionsverstaendnis wirft die Behindertenpaedagogik ins 19.Jhdt zurueck. Unwiderruflich, denn das Wissen geht schnell verloren, wenn die Sonderpaedagogen erst umgeschult sind.